Das Tibetprojekt
rief ein Gespenst herbei, das unbehaglich im Raum stand.
Er schob es beiseite. »Vielleicht ist es einfach nur Zufall. Ein Dummer-Jungen-Streich?«
|72| Der
Butler
versteinerte innerlich. Aber niemand bemerkte es.
»Überall sonst schon«, sagte der Botschafter. »Aber nicht in China und schon gar nicht in Tibet. Die Sache ist rätselhaft«.
»Das heißt, Sie glauben, es steckt etwas Ernstes dahinter?«
»Das herauszufinden ist Ihr Job«, erklärte der Botschafter.
Und sollte es Ihnen tatsächlich gelingen, sind Sie ein toter Mann,
dachte der
Butler
im Stillen
.
Decker war nicht wohl in seiner Haut, ohne dass er hätte sagen können, warum. Du fängst an zu spinnen, sagte er sich. Er blickte
den Botschafter an: »Sie meinen, dass der tote Professor aufgrund seines Alters mit den Nazis in Verbindung gestanden haben
könnte? Eine alte Rechnung womöglich?«
»Ich sehe, Sie haben die Problematik erfasst. Mehr ist es wahrscheinlich nicht, aber wir müssen das klären.« Der Botschafter
tat beiläufig und gab sich locker.
»Wann soll’s denn losgehen?«, fragte Decker.
»Morgen früh holt Sie ein Wagen ab und bringt Sie zum Frankfurter Flughafen. Sie fliegen mit der Air China direkt nach Peking.
Erster Klasse, versteht sich.«
»Warum die Eile?«
»In wenigen Tagen findet ein deutsch-chinesisches Gipfeltreffen in Peking statt, und bis dahin hätten wir die Sache gern aus
der Welt. Jede Stunde zählt.«
»Verstehe.« Das klang einleuchtend.
Der Graf sah Dr. Decker an. »Werden Sie uns helfen?«
»Ich überleg’ es mir.«
|73| Der
Butler
wurde unruhig. »Der Ehrlichkeit halber müssen wir Ihnen sagen, dass dieser Job sich nicht für Sie lohnen wird«, sagte er kameradschaftlich
und machte dabei das weltweit verwendete Zeichen für Geld, indem er den Daumen über Mittel- und Zeigefinger rieb.
Decker hob die Augenbraue. Bis jetzt hatte der Mann, der sich vorhin als Attaché vorgestellt hatte, geschwiegen. »Glauben
Sie, nach allem, was Sie über mich wissen, Geld wäre ein Anreiz für mich?« Er mochte diesen Menschen nicht.
Der
Butler
fuhr fort: »Wir können Ihnen bei Ihrer Mission auch nicht helfen, denn offiziell waren wir niemals hier.«
Der Botschafter sah seinen Attaché fragend an.
Was macht er da? Er schreckt diesen Decker ja förmlich ab.
Decker empfand das genauso, und ihm entging auch der Gesichtsausdruck des Botschafters nicht. »Ich denke darüber nach.«
»Wir können Ihnen nur eine Stunde Bedenkzeit geben. In diesem Umschlag finden Sie noch ein paar weitere Informationen. Wir
warten unten in der Bar auf Ihre Entscheidung. Wir können jetzt eine kleine Stärkung gebrauchen.«
Der Botschafter stand auf, knöpfte sein Jackett zu und ging Richtung Tür.
Stahlmann war zufrieden mit sich. Er hatte seine Sache so gut wie möglich gemacht, aber er sollte vielleicht besser noch etwas
Sand ins Getriebe streuen.
Hoffentlich springt er dann endgültig ab.
Decker gab beiden zum Abschied die Hand und brachte sie an die Tür.
Der
Butler
drehte sich beim Gehen noch einmal um. »Übrigens«, er machte eine Geste mit dem Kopf in Richtung |74| Schlafzimmer, »Sie sollten sich überlegen, wem Sie vertrauen.«
Dass seine intrigante Bemerkung auf fruchtbaren Boden fiel, konnte Stahlmann nicht wissen. Aber nachdem er die Tür geschlossen
hatte, wurde Decker sehr nachdenklich.
Er goss sich einen zweiten Martini ein und ließ den Abend noch einmal Revue passieren. Etwas war hier nicht astrein, aber
er hätte nicht sagen können, was. Die Sache war ungewöhnlich, aber plausibel. Nur, dass der Botschafter und sein Attaché offensichtlich
kleine Kommunikationsprobleme hatten. Allerdings eines stimmte Decker in der Tat nachdenklich. Die scheinbar zufällige Bekanntschaft
mit der schönen Chinesin am gleichen Abend, die diskrete Warnung seines Freundes und ihr kleiner Ausrutscher.
Und nun auch noch diese Anspielung des Attachés auf Li Mai.
|75| 5
Li Mai saß in der Bar im 22. Stockwerk und telefonierte. Sie hatte das Gespräch zwischen Dr. Decker und den deutschen Diplomaten über ein in der Suite zurückgelassenes Mikrofon mitgehört. »Ich glaube, Decker springt
uns ab. Der Botschafter hat ihm das Wesentliche verschwiegen.«
»Wieso hat er das gemacht? Das ergibt doch keinen Sinn. Er müsste die Geschichte seines Landes doch besser kennen«, sagte
die Stimme am anderen Ende.
»Dafür habe ich auch keine Erklärung. Aber ohne diesen Anreiz wird ein Mann wie
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