Das Tibetprojekt
Botschafter, ohne auf das Angebot einzugehen, »ich möchte vorwegschicken, dass es mir durchaus problematisch
erscheint, einen Mann |69| von so ... ungewöhnlicher akademischer Reputation mit dieser äußerst heiklen Mission zu betrauen. Ich habe meine Bedenken auch gegenüber
Peking artikuliert. Aber offensichtlich sieht die chinesische Regierung das anders. Ich stelle also meine private Meinung
hintan und füge mich dem Wunsch der Kollegen.«
»Sie waren mir auch gleich sympathisch«, erwiderte Decker und grinste.
»Gut. Dann hätten wir das ja geklärt«, sagte der Botschafter.
Decker stand auf, ging zur Bar und mixte sich einen Martini.
»Vielleicht können Sie mir jetzt verraten, wovon Sie da eben gesprochen haben und warum Sie hier sind.«
Der Botschafter machte eine Pause und sah Decker in die Augen. »In Ordnung. Kommen wir zum Grund unseres Besuchs.«
Der Botschafter verfolgte mit einem neidischen Blick, wie Decker an seinem Glas nippte, konnte sich aber immer noch nicht
entschließen, um etwas zu trinken zu bitten. Er räusperte sich. »Herr Dr. Decker, Sie stehen in dem Ruf, dass Ihnen nichts heilig ist und dass Sie an nichts glauben. Sie haben zwar einen deutschen
Pass, aber es ist bekannt, dass Sie eher ein ... Zugvogel sind. Dennoch, könnten Sie sich vorstellen, der Bundesrepublik Deutschland einen wichtigen Dienst zu erweisen?«
»Ich zahle Steuern. Reicht das nicht?«
»Wie man’s nimmt. Ihr Wagen ist in Dubai zugelassen ...«
»Das ist wegen der Strafzettel.«
»... und Ihr erster Wohnsitz ist Monaco.«
»Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.«
|70| »Das gehört zu unserem Beruf. Also, wären Sie zu einem Dienst an ihrem Heimatland bereit?«
»Warum sagen Sie mir nicht einfach, worum es geht?« Der Botschafter überlegte, dann sagte er: »Es handelt sich um einen internationalen
Zwischenfall. Normalerweise würde diese Aufgabe vom BND und allen anderen dafür zuständigen Diensten erledigt.«
»Und – warum erledigen die es dann diesmal nicht?«
Der Botschafter blickte zu Boden. »Die Situation ist etwas heikel und verflochten. Wir hätten lieber, dass eine neutrale Person
sich damit befasst. Und Sie kämen dafür in Frage.«
»Von was für einem Vorfall reden wir denn und wieso kann es nicht über offizielle Kanäle laufen?«
»Es geht um den Tod eines deutschen Staatsbürgers im ehemaligen Tibet«, sagte der Botschafter.
Sein Begleiter verfolgte das Gespräch aufmerksam und machte sich bereit, bei Bedarf einzuschreiten.
»Ist ein Bergsteiger abgestürzt?« Decker fand die ganze Situation inzwischen nur noch lästig und komisch.
Der Botschafter atmete tief ein. »Dafür wären wir wohl kaum gekommen und bräuchten Sie nicht um Hilfe zu bitten.«
»Vielleicht muss jemand seinen entwichenen Geist wieder einfangen.« Decker spürte, dass es dem Grafen äußerst ernst war, wollte
die beiden aber noch ein wenig hochnehmen.
Der Botschafter seufzte resignierend. Der Attaché öffnete seinen Diplomatenkoffer, holte einen Umschlag hervor, der mit »Streng
Geheim« beschriftet war, und gab ihn dem Botschafter. Dieser zog ein Foto heraus und legte es auf den niedrigen Couchtisch.
»Das wurde gestern in Tibet aufgenommen. Die Hand gehört zu einem |71| hochangesehenem pensionierten Wissenschaftler, den man tot aufgefunden hat. Er wurde ermordet. Bitte beachten Sie das Symbol
auf dem Handrücken. Man nimmt an, dass der alte Mann es im Sterben mit letzter Kraft und seinem eigenen Blut gemalt hat.«
Decker starrte auf das Foto.
Was er da sah, war nicht mehr so witzig.
Er hatte das Hakenkreuz sofort erkannt.
»Ich nehme an, Sie kennen die Bedeutung dieses Symbols«, fragte der Graf und verkniff sich jede weitere Regung.
»Das fragen Sie mich nicht wirklich, oder?«
Der Botschafter ignorierte den Unterton. »Sie können sich vorstellen, dass wir diesen Vorfall unter keinen Umständen in der
Öffentlichkeit haben wollen. Das Ansehen der Bundesrepublik würde Schaden nehmen.«
»Nachvollziehbar.«
»Dennoch sind wir natürlich an einer Aufklärung der Hintergründe interessiert, und unsere chinesischen Freunde auch.«
»Und die Hintergründe des Mordes zu rekonstruieren wäre dann meine Aufgabe?«
»So ist es.«
»Aber ich bin kein Kriminalist.«
»Wir brauchen jemanden, der die Geschichte dahinter durchleuchten und den Bezug zur Gegenwart herstellen kann.«
Eine kalte Todesahnung beschlich Decker. Das Symbol auf dem Foto
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