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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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Dritte
     Reich war zu der Zeit doch schon längst untergegangen, als Harrer in Lhasa war. Warum hätte er seine Arbeit also fortsetzen
     sollen? Für was und für wen?« Decker war ratlos. »Kennst du die Antworten?«
    »Nein. Das wissen wir auch nicht. Und wir wissen auch nicht, warum vor drei Tagen in Tibet ein toter Forscher gefunden wurde,
     der ein Hakenkreuz auf der Hand hatte. Aber wir sind überzeugt, dass es eine Erklärung dafür gibt. Wie gesagt: Dein Job.«
    Decker stieß die Luft aus.
    »Nimmst du an, Philipp?«
    Decker wurde heiß und kalt.
Hier wird ein Spiel gespielt. Und du kennst die Einsätze und die Regeln nicht.
Er hatte jetzt nackte Angst.
    Wem kannst du trauen?
    Andererseits war die Vorstellung, mit der schönen Chinesin zusammenzuarbeiten viel zu verlockend, als dass er hätte Nein sagen
     können.
Vielleicht kommen wir noch zum Zug.
    Also nickte er: »Ihr habt mich.«
    Li Mai lächelte. »Sehr schön.« Damit stand sie auf und wollte zur Tür gehen. Decker lief ihr nach. »Du gehst? Schade.«
    Mai schaute ihn an. Da war er wieder, der andere Blick. »Die Zeit drängt. Wir haben jetzt beide viel zu tun. Aber wir werden
     uns wiedersehen.« Dabei huschte ein vieldeutiges Lachen über ihr Gesicht.
    |85| Decker hielt ihr die Tür auf. »Das hoffe ich doch.«
    Auf dem Flur drehte sie sich noch einmal um. »Wenn du dem deutschen Botschafter zusagst, erwähne lieber nicht, was du jetzt
     weißt.« Sie war schon fast am Aufzug, als ihr noch etwas einfiel: »Pack heute Nacht alles ein, was du zum Arbeiten brauchst.
     Wie der deutsche Botschafter schon sagte, moren früh geht’s los. Deine Koffer werden um Punkt 10:00   Uhr abgeholt. Bis bald   ...« Sie tippte mit der Hand an die Schläfe. Ein angedeuteter militärischer Gruß, registrierte Decker. Sie war wohl kein Kulturattaché.
     
    Als sich die Aufzugstür hinter ihr schloss, musste Decker tief durchatmen. Was er gehört hatte, war unglaublich. Unschlüssig
     betrachtete er das Foto, das der Botschafter zurückgelassen hatte.
    Warum musste dieser Mensch in Tibet sterben?
    Er rief im 22.   Stock an und bat den Barkeeper, den zwei Herren in schlecht sitzenden Nadelstreifen mit Köfferchen ein kurzes »Einverstanden«
     zu übermitteln. Er konnte somit nicht sehen, dass der Botschafter anerkennend nickte, als man ihm den Zettel mit seiner Nachricht
     auf einem kleinen Silbertablett brachte – und dass der Attaché totenblass wurde.
     
    Als er den Hörer wieder aufgelegt hatte, trat Decker ans Fenster.
    Was um alles in der Welt war da in Tibet los?
    Nachdenklich schaute er hinab auf die schlafende Stadt. Was war jetzt als Nächstes zu tun? Von wem konnte er Hilfe erwarten?
    Im Osten wurde der Himmel schon hell. Decker griff erneut zum Telefon und rief einen Freund an.

|86| 6
    Patrick sah die im Widerschein der ersten Morgensonne rot schimmernden Stockwerke der gegenüberliegenden Hochhäuser an sich
     vorbeirauschen, während er im gläsernen Aufzug des
Inside
ins oberste Stockwerk hinaufglitt. Decker hatte gesagt, es sei äußerst dringend. Er hatte ihn letztes Jahr während seines
     Auslandssemesters an der Sorbonne kennengelernt, und sie waren sich schnell sympathisch gewesen. Dabei waren sie vom Typ her
     völlig verschieden.
    Patrick war gerade erst sechsundzwanzig und dachte viel über die Welt und die Menschen nach. Er war ein stiller, in sich gekehrter
     Student, der in einem Souterrainzimmer im Frankfurter Stadtteil Bockenheim wohnte und von Gemüse und Reis lebte.
    Die Hektik und Sinnlosigkeit des westlichen Lebens lehnte er vollkommen ab. Alle rannten nur noch dem Geld hinterher und stürzten
     sich in tausenderlei Ablenkungen: Autos, Urlaub, Wohnung, Karriere, Hobbys. Die ganzen oberflächlichen und materialistischen
     Dinge. Nirgendwo Einsicht oder Nachsicht. Jeder gegen jeden. Keiner gab auch nur einen Millimeter nach. Die Welt war aus den
     Fugen geraten und taumelte besinnungslos durch das Weltall. Keiner nahm sich auch nur eine Sekunde zum Nachdenken. Kein Gedanke
     an die Tragödie Mensch, sein |87| Irren und Suchen. Sein Hoffen und Zweifeln. Kein Gedanke an eine gerade Linie in der Geschichte oder an ein großes Ziel für
     die ganze Menschheit.
    Und warum war das so? Weil sie nichts über die Natur des Geistes wussten. Dabei war die Lösung doch so einfach, und der ganze
     Wahnsinn hätte längst aufhören können. All die Umweltzerstörung, die Armut, die Ungerechtigkeit, der Kampf um Profit und Rohstoffe,
     das Morden,

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