Das Tibetprojekt
müssten das wissen. England hat
Frauen und Kinder bombardiert. 160 Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die meisten, wie Ihre Stadt Frankfurt, hatten keinerlei militärische Bedeutung.
Ich habe zwei Jahre in Deutschland studiert. Ich kenne Berlin und auch Dresden. Ich war in Korea und in Vietnam. Die Liste
der Kriege, in die der Westen seit 1945 verstrickt war, ist lang. Sehr lang.«
Decker nickte. Der General hatte recht.
Und er schien die Deutschen zu mögen. Jetzt atmete Decker tief durch und stellte seine Frage: »Was ist in Tibet geschehen?«
Der General stand auf. Er ging durch den Raum und dachte nach. Für einen Moment schien sein Blick in die Unendlichkeit gerichtet
zu sein. Dann kam er an den Tisch zurück und stützte sich mit beiden Fäusten auf. Seine Stimme war hart und entschlossen.
|147| »Die Tibeter haben den Krieg gegen China begonnen ...«, sagte er schließlich. »Vor sehr langer Zeit.«
Decker glaubte nicht richtig gehört zu haben. Das hatte er jedenfalls nicht erwartet.
Tibet sollte einen Krieg begonnen haben? Das fing ja gut an.
Der General blickte Decker an: »Was wissen Sie über die Geschichte Zentralasiens?«
Decker fühlte sich nicht wohl in seiner Haut und hielt sich am Sessel fest. »Ich fürchte, nicht viel.«
»Dann passen Sie jetzt gut auf«, grollte der General. »Ungefähr 620 nach Christus beginnt die dokumentierte Geschichtsschreibung.
Damals vereinigten sich die Nomadenstämme Tibets unter ihrem mächtigen Führer Schrongtsam Gampo – merken Sie sich diesen Namen
gut! Sie verbreiteten Angst und Schrecken. Sie unternahmen Feldzüge nach Bengalen, errichteten ein Kolonialreich in Turkestan
und stürmten unsere alte Hauptstadt. Als Zeichen seines Sieges über die Tang-Dynastie nahm der tibetische Kriegsherr die chinesische
Prinzessin Weng Cheng zur Frau. So begannen unsere Beziehungen.«
Decker verstand überhaupt nichts mehr.
Tibet als Militärmacht?
Das widersprach doch einfach allem, was er bisher gehört hatte.
Der General überlegte eine Minute. Dann fuhr er fort: »Der erste tibetische König zählte mit Julius Cäsar, Alexander dem Großen
und Napoleon zu den größten Eroberern aller Zeiten.«
»Davon habe ich noch nie etwas gehört«, unterbrach Decker vorsichtig.
»Das wird in westlichen Geschichtsbüchern meistens vergessen«, sagte der General und trank einen Schluck heißen Tee. »Diese
Kampfkraft der Tibeter hat seit ihrem |148| ersten Erscheinen viele Fragen aufgeworfen. Mythen und Legenden ranken sich um dieses Kriegervolk. Man glaubt, sie haben Götter,
die sie unbesiegbar machen. Andere sagen, sie sind Abkömmlinge der ältesten Kriegerrasse der Menschheit.«
Decker zuckte zusammen.
War es das, was die Nazis gesucht hatten?
Himmler sollte ja geglaubt haben, die arische Rasse sei vom Himmel in Tibet herabgestiegen und habe von dort ihren Siegeszug
über die Welt angetreten. Hastig nahm er ein paar Erdnüsse, verschluckte sich und fing an zu husten.
Der General bemerkte Deckers Gesichtsausdruck. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Nein, alles in Ordnung. Äh, wie heißt sie denn, diese Kriegerrasse?«
»Man nennt sie die Kampas.«
»Auch noch nie gehört. Die Kampas tauchen ebenfalls nicht in unseren Geschichtsbüchern auf.«
»Oh doch. Die Deutschen haben sogar schon gegen die Kampas gekämpft.«
»Was? Das kann doch nicht sein.« Decker riss die Augen auf.
»Aber sicher.« Wieder nippte der Chinese an seinem Tee. »In der legendären Schlacht bei Liegnitz von 1222. Sie wussten nur nicht, wen sie vor sich hatten. Die Kampas kamen unter anderem Namen. Erinnern Sie sich an die Mongolen und
Dschingis Khan? Überlegen Sie doch mal, dass auch er als unbesiegbar galt. Und dann fragen Sie sich, mit wem er Europa in
Schutt und Asche gelegt hat.«
»Sie wollen doch nicht ersnsthaft ...«
»Und ob.« Der Alte hatte sich warmgeredet. »Dschingis Khan hatte die gefährlichsten Krieger der Welt an |149| seiner Seite. Die tibetischen Reiter gehörten zu seiner berüchtigten Goldenen Horde. Sie waren es, die das deutsch-polnische
Heer unter Herzog Heinrich geschlagen und massakriert haben. Sie haben unter den christlichen Rittern gewütet wie Bestien.
Erinnern Sie sich?«
Decker erinnerte sich nur grob an die Berichte von dieser Schlacht. Die Reiter aus dem Osten gingen mit enormer Grausamkeit
und Brutalität ans Werk. Taktisch waren sie genial und listig. Sie arbeiteten mit Fahnensignalen und reagierten
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