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Das Tibetprojekt

Titel: Das Tibetprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Kahn
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Ultimatum, sich ihnen anzuschließen.«
    Noch ein Regierungssturz in Tibet. Wie die Retingrevolution
|208| . Decker hatte aufgehört, die Widersprüche zwischen der Wirklichkeit und den Schriften des Dalai Lama zu zählen. »Die Geschichte
     wiederholt sich offenbar immer wieder«, sagte er trocken. »Seine Vorgänger wurden schließlich auch gelegentlich aus dem Weg
     geräumt. Wie hat er reagiert?«
    »Er hat sich geweigert, den Aufstand der Kampas zu unterstützen. Daraufhin beschlossen die Kampas die gewaltsame Machtübernahme.
     Sie ersetzten die Regierung durch ein Freiheitskomitee, erklärten Tibet erneut für unabhängig und forderten den Abzug der
     chinesischen Truppen.«
    »Ein vorschriftsmäßiger Staatstreich.«
    »Ja, die Kampas waren am Ziel. Sie waren die Herren in Tibet. In den kommenden Wochen war ihre Präsenz in Lhasa unübersehbar,
     während der chinesische General mit dem Rest seiner Truppe täglich im Potala protestierte. Der Dalai Lama selbst hat die Situation
     so umschrieben, dass er zwischen zwei Vulkanen stand, die jeden Augenblick ausbrechen konnten. Auf der einen Seite die Kampas
     und der Protest seines Volkes gegen die Unterdrückung, auf der anderen Seite die Chinesen, die Verstärkung angefordert hatten.«
    »Oh, da übersieht er wohl, dass die Wut des Volkes auch gegen ihn und seine Tatenlosigkeit gerichtet war. Immerhin war er
     doch gerade abgesetzt worden«, sagte Decker.
    »Das ist der Knackpunkt. Was wissen Sie darüber, wie der Gottkönig Tibet verlassen hat?«
    »Es heißt, er sei vor der chinesischen Bedrohung geflohen«, sagte Decker.
    »Können Sie sich denken, was in Wirklichkeit passiert ist?«
    |209| Decker sah Li Mai an. Sie grinste verächtlich bei dem Gedanken daran, was jetzt kommen würde.
    Decker ahnte es schon. »Sie meinen, er wurde von seinen eigenen Leuten rausgeschmissen?«
    »Wahrscheinlich. Die Kampas wollten sich jedenfalls diese göttliche Komödie in Lhasa nicht mehr länger anschauen. Sie waren
     drauf und dran, ihn zu liquidieren. Warum sie davon Abstand genommen haben, weiß ich nicht genau, aber ich habe so eine Theorie.
     Die Wahrheit kennt wohl nur Seine Heiligkeit selbst, und er streitet alles ab. Organisiert und überwacht wurde die ganze Operation
     von der CIA.   Vielleicht wissen die mehr.«
    Decker schaute Li Mai an. Sie nickte. »Stimmt.«
    Decker verdaute noch das eben Gehörte, als der Botschafter etwas hinzufügte. »Nebenbei   – Seine Heiligkeit und seine Leute haben den gesamten Kirchenschatz mitgenommen. Sie sehen also, selbst die höchsten Lamas
     haben ihre Anhaftung an gewisse Besitztümer nicht ganz überwunden. Und das Schlimmste daran ist, dass er ein Teil des Vermögens
     bei Spekulationsgeschäften verloren hat. Stellen Sie sich mal vor, was man damit alles Sinnvolleres hätte tun können.«
    Decker fielen die traurigen Berichte ein, die er über tibetische Flüchtlinge gelesen hatte, in denen beschrieben wurde, wie
     diese sich in Indien im Straßenbau durchschlagen mussten.
    »Aber um auf die Flucht zurückzukommen«, unterbrach der Engländer Deckers Gedanken, »wissen Sie, was er den Kampas vor Erreichen
     der Grenze gesagt hat? Dass er ihnen nicht mehr rät, Gewalt zu vermeiden, dass es nur noch einen Weg gebe, nämlich weiterzukämpfen.«
    Nach einem Augenblick schweren Schweigens sagte Decker: »Also die endgültige Bankrotterklärung seiner |210| eigenen verlogenen Politik der Gewaltlosigkeit.« Er schüttelte den Kopf. »Man fragt sich, wofür er eigentlich den Nobelpreis
     gekriegt hat.«
    Sir Reginald schaute Decker an: »Nun, ich kann Ihnen sagen, warum der Dalai Lama den Preis gekriegt hat. Überlegen Sie mal,
     was zur Zeit der Verleihung gerade in China passierte.«
    Decker wusste es nicht. Aber Li Mai sprang ein. »Der Nobelpreis war die Antwort des Westens auf die Niederschlagung der Studentenproteste
     auf dem Platz des Himmlischen Friedens.«
    Decker wandte sich wieder an Woodham. »Sie wollten mir noch sagen, warum die Kampas den Dalai Lama haben leben lassen.«
    »Ja, ich glaube, das liegt an seiner Herkunft. Der Hof in Lhasa hatte immer schon Angst vor den Kampas. Um sie zu beruhigen,
     haben sie den 14.   Dalai Lama in der Region Kahm entdeckt. Das ist das Land der Kampas«, sagte der Botschafter. »Damit war der 14.   Dalai Lama einer von ihnen. Lhasa hat das vermutlich als Zugeständnis gesehen. Die herrschenden Kreise haben wohl gehofft,
     dass es die Krieger besänftigt und dass sie Lhasa in

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