Das Tibetprojekt
Go-Spiel. Vermutlich sehr wertvoll.«
»Aha. Und damit spielt man Fußball?«
Sie blickte verächtlich auf das Spiel. »Dieses miese Ding kommt wie die Monitore aus Japan und stört mich schon lange hier
drin. Aber erfunden wurde das Spiel in China. Es ist äußerst komplex und lässt enorm viele Varianten zu. Wir trainieren damit
unser taktisches Denken, den Geist und die Persönlichkeit.«
|233| 16
Dadul saß zufrieden in seiner Kammer in Lhasa. Er war stolz auf seine Mission und spürte eine gewisse Erregung beim Gedanken
an seinen Auftrag.
Der Dalai Lama hatte ihn höchstpersönlich ins Vertrauen gezogen. Es ging um das Geheimnis des tibetischen Buddhismus, das
niemals im Westen bekannt werden durfte.
Dieses Geheimnis ist die wahre Seele unseres Volkes, dachte der Mönch. Die wahre Identität. Die heilige Stätte der Krieger.
Denn das waren sie im Grunde ihres Herzens alle: Buddhistische Krieger. Und Jigme Dadul, der »furchtlose Feindevernichter«,
trug seinen Namen zu recht.
Das Geheimnis war ein Raum, von dem niemand auf der Welt außer Seiner Heiligkeit und seine engsten Vertrauten etwas wussten.
Er war das Erbe Tibets. Kein Krieg und keine chinesische Armee hatte ihn je zerstören können. Dieser Raum musste mit allen
Mitteln geschützt werden. Dafür hatter er, Jigme Dadul, zu sorgen.
Denn es waren Feinde auf die Spur des Geheimnisses geraten. Fremde, die er töten würde. Dadul dachte nach.
Diese armen Seelen im Westen. Sie wussten nichts. Sie glaubten, der tibetische Buddhismus lebe vom Mitgefühl. |234| Das stimmte zwar, aber auf andere Weise, als diese Narren sich einbildeten.
Die tiefe Lehre erlaubte natürlich das Töten. Auch die Christen hatten ohne Probleme für ihren Gott ganze Völker vernichtet.
Trotz des Fünften Gebots: »Du sollst nicht töten.« Sie seien eben Gottes Werkzeug, hatten sie ihren Opfern erklärt. Und am
Ende hatten sie einfach die Übersetzung geändert. Die Menschheit war schon ein komischer Haufen: Alle glaubten an irgendwelche
»heiligen Schriften«, obwohl sie gar nicht lesen konnten, was da geschrieben stand, weil die Sprachen, in denen diese Schriften
verfasst waren, seit Jahrhunderten schon mausetot waren.
Die Lizenz zum Töten gab es natürlich auch im Buddhismus. Nur gehörte das zu den höchsten Lehren und Techniken der tibetischen
Lehre, von denen keiner dieser leichtgläubigen Trottel im Westen je etwas erfahren würde. Niemals. Das blieb einem kleinen
Kreis von Erleuchteten vorbehalten. Dadul dachte an die heilige Waffe, die unter seiner Kutte auf ihren Einsatz wartete, und
an den Mann, den er umbringen würde.
Dekka.
Das war der Name, den man ihm genannt hatte. Für sich nannte Dadul ihn
Dekyi,
denn es würde ihm eine Wonne sein, dem Mann mit seinem Dolch den neugierigen Bauch aufzuschlitzen. Dekyi würde es noch bedauern,
nach Asien gekommen zu sein. Wo er sich wohl gerade aufhalten mochte?
Egal.
Die Chinesen würden ihr Bestes tun, um den Mann zu beschützen, aber sobald er in Tibet war, würde er sterben. Dafür hatte
Dadul genug Informanten.
Der gesegnete Mord. Seine Gedanken wanderten zurück zu den Worten seines Lamas, als dieser ihn vor langer Zeit in das heilige
Ritual initiierte: »Wie kann der |235| Mord mit der buddhistischen Lehre vereinbart werden, fragst du, mein Schüler? Die edle Wahrheit ist diese: Wir hindern das
Opfer durch den Tod daran, weiterhin schlechtes Karma anzuhäufen, und verhelfen ihm so zu einer besseren Wiedergeburt. Das
Motiv ist das Entscheidende. Das musst du verstehen und dir tief einprägen. Und vor jedem Stoß mit dieser Waffe musst du dich
mit einem Mantra daran erinnern. Du wirst nicht aus Hass oder Lust töten, sondern aus Mitgefühl! Das, junger Mönch, ist die
hohe Kunst des Vajrajanas. Seit Jahrhunderten praktizieren wir es so.«
Dadul beobachtete die Touristen, die auf der Straße vorbeizogen.
Die Europäer und Amerikaner sind dumm. Es gibt so viel, wovon sie nichts ahnen.
Und das war auch gut so.
Aber der Dolch war nicht das einzige, was unter Daduls Kutte steckte. Er dachte an ein weiteres Ritual des tibetischen Buddhismus.
Das war im Westen ebenfalls nicht bekannt. Bei dem Gedanken freute sich der Mönch, wieder in seiner Heimat zu sein, und spürte
die Vorfreude in seinen Lenden aufsteigen.
Endlich hatte er wieder Gelegenheit, die heimlichen tantrischen Rituale der Vereinigung zu praktizieren. Die höchste aller
meditativen Stufen und ein Sprung
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