Das Tibetprojekt
zeigten weibliche
Gottheiten, alleine oder in Verschmelzung mit männlichen Göttern. Statuen mit erotischen Posen standen auf Ablagen und Tischen |283| und reflektierten das Kerzenlicht. Es war schummerig dunkel.
Auf einem weichen Bett lag sie. Seine Daikini. Die weibliche Inkarnation, mit der er sich vereinen würde auf dem Pfad zur
Erleuchtung. Er betrachtete das junge Mädchen lange und fühlte die Energie in sich aufsteigen. Die Energie, die es zu beherrschen
und zu transzendieren galt. Sie schien ruhig und atmete langsam. Die Drogen wirkten. Ihre Augen waren offen, aber sie blickte
ins Nichts. Ihr schlanker Körper war eingeölt mit duftenden Essenzen und der Geruch der Kräuter erfüllte den ganzen Raum.
Sie war sehr jung.
Und nackt.
Ihre Mutter hatte sie dem Kloster geschenkt, um einen bösen Geist aus ihrem Körper zu treiben. Und weil die Mutter wusste,
dass die Lamas von Zeit zu Zeit eine weibliche Gespielin für das heilige Ritual brauchen. Es war eine Ehre, ihre Tochter dem
Kloster zu geben. Es würde ihr Karma um unzählige gute Taten bereichern und eine viel bessere Wiedergeburt bewirken. Der Lama
zog sich aus. Seine Erregung wuchs, die kosmische Energie lud sich in ihm auf. Sie würde ihm in ihrer Trance bedingungslos
zu Willen sein und alle seine spirituellen Wünsche erfüllen. Er würde sich mit ihr vereinen und dabei die heiligsten aller
Mantras der höchsten Stufe sprechen. Das Männliche und das Weibliche würden zueinanderfinden und sich in die letzten Sphären
des Daseins erheben. An den Rand des Nirwanas, soweit eine Seele in dieser Welt es nur schaffen kann.
|284| Patrick war am Fuß der Treppe angelangt und stand vor einer alten Kellertür aus Holz mit Eisenbeschlägen. Er entdeckte einen
kleinen Riss und schaute hindurch. Das Blut gefror ihm.
Die Dauphin flog zielsicher durch die Nacht. Es war nicht mehr weit bis zum Kloster. Die vier Männer in der Kabine überprüften
ihre Waffen und setzten ebenfalls Nachtsichtgeräte auf. Decker fühlte sich unwohl. Er war Wissenschaftler und kein Schatzjäger.
Li Mai war hoch konzentriert und Decker konnte nur auf den Monitoren des Cockpits die Flugroute verfolgen, die sie nahm. Alles,
was er im Mondlicht draußen sehen konnte, waren die Schatten einer wild zerklüfteten Gebirgslandschaft im nächtlichen Mondschein.
Nirgendwo da unten brannte auch nur ein Licht.
Es gruselte Decker.
Der Lama nahm den Lotussitz ein und meditierte. Als er sich in den Zustand der Bereitschaft versetzt hatte, sprach er sie
an und gab ihr Anweisungen. Sie stand auf, kam zu ihm herüber und tat, wie ihr befohlen war. Sie öffnete ihre Beine und ließ
sich langsam auf ihm nieder. Dabei nahm sie eine genau vorgegebene Sitzhaltung ein. Beide sahen jetzt exakt so aus, wie die
im Sitzen kopulierenden goldenen Statuen um sie herum. Während er in sie eindrang, rezitierte er die Mantras. Ihre Körper
bewegten sich im Nebel der Öllampen. Lange. Sehr lange.
Am Ende würde er sich nicht in dieser Stellung in sie ergießen. Auf keinen Fall. Der heilige Samen des Lichts darf nie in
dieser dunklen, gefährlichen Grotte verschwinden. Nein. Er würde sich in ihren Mund ergießen |285| und den Samen zurückholen. Mit seiner Zunge. Kein Tropfen durfte in dem unreinen Körper einer Frau zurückbleiben. Das würde
ihm sonst die Kraft nehmen.
Was Patrick sah, versteinerte ihn. Ein Entsetzen auf allen Ebenen seiner Seele ergriff ihn.
Lüge! Es ist alles eine verdammte Lüge!
Er rannte im Schock davon. Die Treppe hinauf. Durch die endlosen langen Korridore. Das Kloster, das ihm eine neue Heimat sein
sollte, in dessen Mauern er Zuflucht und Geborgenheit finden wollte, dieses Kloster war jetzt ein Ort des Schreckens und des
Verrats an seinen Idealen. Patrick rannte durch den Saal, in dem sie morgens immer zusammen gegessen hatten. Er hätte sich
beinahe übergeben. Er rannte weiter an dem Meditationsraum vorbei, der ihm so heilig gewesen war. Jetzt war es ein verfluchter
Ort. Alles brach in ihm zusammen. Sein Weltbild. Sein Vertrauen. Patrick stolperte und fiel hin. Er stand auf und rannte weiter.
Die Tibeter lügen
!
Aber eines blieb von alledem unberührt: die ewige Wahrheit. Die Buddhanatur des Geistes. Die Klarheit. Die musste er sich
bewahren. Und die brauchte er jetzt. Er rannte auf den Hof, wo der Jeep stand, den er gemietet hatte. In Verzweiflung und
nicht mehr Herr seiner selbst startete er den Motor und
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