Das Tibetprojekt
Kammer und hielten ihre Gewehre auf den erstarrten Lama gerichtet. Die Laserstrahlen durchdrangen den Rauch und legten
die roten Punkte auf seinen Kopf und seine Brust.
»He, wir brauchen ihn lebend«, sagte Li Mai. Die Punkte wanderten auf seine Beine und Knie.
Der Lama war völlig benommen und fast betäubt. Er nahm nur noch einen Nebel wahr. Er sah zwei finstere schwarze Gestalten,
die ihn anblickten. Schreckensgötter! Und noch zwei Geister, die durch die Tür auf ihn zukamen. Ihm war ein Fehler in der
Meditation unterlaufen, und er hatte die Geister der Hölle heraufbeschworen. In einer ruckartigen Bewegung stieß er das Mädchen
von sich und sprang zu einem der Altare. Der Donnerkeil. Ich muss die Dämonen töten. Decker sah nur noch, wie er ein rituelles
Messer ergriff und Decken auf die Lampen warf.
Dann herrschten absolute Finsternis und vollkommene Stille. Nur das wilde Atmen und die Flüche des Lamas erklangen im Dunkeln.
Decker konnte nichts sehen.
Ein Körper in Kevlarweste schob Decker und Li Mai an die Wand. Es war einer der Soldaten, der sich schützend vor sie stellte.
Dann hörte Decker ein hohes elektronisches Summen. Die Infrarotgeräte.
Der Lama konnte nichts mehr sehen.
Aber die Soldaten sahen alles. Ein ungleicher Kampf.
Ein Moment des Abwartens. Dann brach der Lama in wildes Geschrei aus. Decker hörte, wie Gegenstände durch den Raum flogen.
Metallschalen schlugen links und rechts neben ihnen gegen die Wand und fielen scheppernd |292| zu Boden. Wie ein Wahnsinniger riss der Lama alles um sich herum von den Wänden und Regalen und schlug mit seinem Dolch wild
um sich. Er kämpfte gegen Schatten. Von dem zweiten Soldaten war nichts zu hören.
Dann wieder Stille.
Der Lama atmete schwer und rezitierte Mantras mit der Stimme eines Menschen, der nicht mehr im Diesseits weilte. Er war irgendwo
in diesem Raum, und sein Verstand schon längst woanders. Decker konnte nicht mal die Hand vor Augen erkennen. Dann ein kurzes
Seufzen des Mädchens.
Der Lama wurde panisch. Die Geister wollten sie entführen. Sein Samen! Er musste zu seiner Daikini zurück. Er sprang rasend
vor Wut und Verzweiflung blindlings in die Finsternis und stach mit seinem Dolch ins Leere.
Decker spürte, wie plötzlich ihr Wächter einen Schritt zur Seite machte und zwei weitere Hände einen Kinderkörper zwischen
ihn und Li Mai schoben. Beide hielten sie die Kleine reflexartig fest und der Wächter stellte sich wieder vor sie. Der Lama
kämpfte gegen den unsichtbaren Feind wie ein angeschossener Tiger. In Rage verfallen rannte er durch den Raum und trat und
stach nach allem, was ihm in den Weg kam. Porzellan zerbrach, und schwere Kupfergegenstände fielen zu Boden. Glas splitterte.
Dann hielt er still und lauschte und hörte: Nichts. Wo waren diese Dämonen? Wo war das Mädchen? Er hörte ihr Seufzen und stürzte
in diese Richtung.
Decker hörte ihn auf sich zu kommen. Ihr Wächter machte eine heftige Bewegung. Ein Stiefel traf auf nackte Haut und der Lama
stieß einen Wutschrei aus. Er wollte gerade wieder zum Sprung ansetzen, als er hinter sich etwas |293| hörte. Instinktiv riss er den Dolch hoch. Doch in dem Moment wurde sein Handgelenk von den Dämonen gepackt.
Der Lama spürte keinen Schmerz in seiner Trance. Aber er hörte Knochen brechen. Seine Knochen. Der Dolch fiel zu Boden. Noch
ein Schlag aus dem Nichts traf ihn. Der Lama verstand nicht. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Arme wurden hinter dem
Rücken zusammengedrückt. Sie hatten ihn. Er schwebte. Sie nahmen ihn mit in ihr Reich. Er flog mit einem Dämon durch die Lüfte.
Dann schlug er auf den Boden und verlor das Bewusstsein.
Einer der Soldaten schaltete die Taschenlampe wieder ein und erhellte zusätzlich den Raum mit rotem Licht aus einer chemischen
Stableuchte. Decker bot sich ein Bild der Verwüstung.
Der nackte Lama lag zusammengerollt und gefesselt am Boden. Einer der Soldaten stand neben ihm und richtete seine Waffe auf
ihn, aber der Mönch regte sich nicht. Der Raum und seine Einrichtung waren völlig zerstört. Zerrissene Tücher und Tankas hingen
von den Wänden, der Altar war umgekippt und in dem immer noch überall schwebenden Rauch von der Türsprengung erkannte Decker
zahlreiche herumliegende Statuen und Gegenstände.
Li Mai sprach als erste. »Interessant, so eine nächtliche Klosterbesichtigung, nicht wahr?« Dann nahm sie das Mädchen in den
Arm und versuchte, es zu
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