Das Titanic-Attentat
vertrauenswürdiger Zeuge vor dem Ausschuss, nämlich der Zweite Offizier Charles Lightoller. So sei Luis Klein gar nicht der wirkliche Klein gewesen, sagte Lightoller – der echte Klein sei ertrunken. Tatsächlich stand ein Luis Klein nicht auf der Besatzungsliste, sondern nur ein Friseur namens Herbert Klein. Auf der anderen Seite waren weder Besatzungs- noch Passagierliste der
Titanic
hundertprozentig zuverlässig. Dafür fügt sich die Schilderung des verschollenen Klein nahtlos in die anderen Berichte von dem Saufgelage, und so bleibt es möglich, dass Besatzung und Passagiere der
Titanic
am Abend der Katastrophe planmäßig betrunken gemacht wurden, während der Kapitän Berichten zufolge nüchtern blieb.
Die Legende vom einsamen Eisberg
Immer wieder können wir lesen, dass die
Titanic
in jener Nacht überraschend auf »einen« Eisberg fuhr, und fast noch öfter können wir in Spielfilmen oder pseudorealistischen Animationen beobachten, wie der Ozeanriese auf einen mutterseelenallein vor sich hin dümpelnden Eisberg trifft. Wie eine Nadel im Heuhaufen soll die
Titanic
dabei mitten im leeren Ozean ausgerechnet diesen einsamen Eisberg gefunden haben, sozusagen wie einen negativen Lottogewinn.
Diesen Legenden zufolge wurde die Reise der
Titanic
am 14. April gegen 23.40 Uhr »jäh unterbrochen, als der Ausguck Frederick Fleet direkt voraus einen Eisberg entdeckte, dreimal die Alarmglocke läutete und die Warnung direkt telefonisch an die Brücke weiterleitete, wo sie vom Sechsten Offizier James P. Moody entgegengenommen wurde«, heißt es in einer typischen Nacherzählung auf Wikipedia Deutschland: »Der Abstand zum Eisberg war aber schon zu gering: Die
Titanic
kollidierte bei voller Reisegeschwindigkeit mit ihrer vorderen Steuerbordseite mit dem circa 300000 Tonnen schweren Eisgebilde.« (Woher auch immer diese Zahl stammt, denn der »tödliche Eisberg« konnte nie zuverlässig identifiziert geschweige denn gewogen werden.)
So eine Überraschung! Damit konnte doch nun wirklich keiner rechnen! Am allerwenigsten der arme Kapitän Smith! Wenn wir eines inzwischen sicher wissen, dann dies: Diese und ähnliche Darstellungen sind Fiktion. In Wirklichkeit gab es auf der Brücke und im Ausguck der
Titanic
keinerlei Ungewissheiten, wie es in dem betreffenden Gebiet aussehen würde.
Interessanterweise verfügen wir aber auch über anschaulichste Beschreibungen des Eisfeldes von Augenzeugen auf der
Titanic
. Wie das? Wer sollte beschrieben haben, wie die
Titanic
des Nachts in ein dichtes Eisfeld hineinfuhr? Nun – natürlich niemand. Die einen konnten nicht mehr reden, die anderen wollten nicht. Da sich auch die überlebende Schiffsführung alle Mühe gab, das Ganze als unglücklichen Unfall darzustellen, gibt es solche Beschreibungen nicht. Aber dafür gibt es zahlreiche Zeugenaussagen von den Überlebenden in den Rettungsbooten.
Bald nachdem die
Titanic
versunken war, sichteten die Insassen der Rettungsboote Eisberge und hatten regelrecht Schwierigkeiten, den »weißen Riesen« auszuweichen. Rettungsboot Nr. 4 beispielsweise »hatte nächtens eine unangenehme Begegnung mit Eisbergen, denn es wurden viele gesichtet und ihnen unter Schwierigkeiten ausgewichen«, berichtete der berühmte
Titanic
-Überlebende Lawrence Beesley. Auch Boot Nr. 8 »befand sich inmitten von Eisbergen«. [104]
Als nur zwei bis drei Stunden nach dem Untergang der
Titanic
das Rettungsschiff
Carpathia
herandampfte, geriet dessen Fahrt zum regelrechten Eistanz: Wie
Carpathia
-Kapitän Rostron »in seinem Zeugnis sagte, sahen sie zwischen 2.45 Uhr [25 Minuten nach dem Untergang der
Titanic
; G. W.] und 4.00 Uhr auf jeder Seite Eisberge, passierten etwa zwanzig große, hundert bis zweihundert Fuß hoch, und noch viel mehr kleinere, und ›mussten das Schiff dauernd zwischen ihnen manövrieren, um ihnen auszuweichen‹ …
Schließlich wurde das Schiff gestoppt, mit einem gesichteten Eisberg genau voraus … So weit das Auge blickte, erstreckte sich im Norden und Westen ein ausgedehntes Eisfeld, aus dem sich Eisberge erhoben und dazugehörige Eisschollen, als würde plötzlich ein Hügel aus der Ebene auftauchen. Voraus und nach Süden zeichneten sich schwimmende Monster durch die fahle Dunkelheit ab, ihre Anzahl wurde größer von Augenblick zu Augenblick, als der Tag anbrach und den Horizont rosa färbte.« [105]
»Habe die Notsignale der
Titanic
um 11.20 Uhr erhalten«, hatte die Retterin
Carpathia
schon zuvor gefunkt.
Weitere Kostenlose Bücher