Das Todeskreuz
du Gift drauf nehmen. Die Frau war völlig verschüchtert
und hatte, wie schon erwähnt, ein blaues Auge. Und
kein Mensch läuft tagsüber im Haus mit einer Sonnenbrille rum.«
Er sah Doris Seidel an und fuhr fort: »Sie hat auch Klamotten
angehabt, die ziemlich untypisch für das Haus sind, einen Rollkragenpulli,
der bis ans Kinn reichte, eine lange weite Hose, bloß
ihre Hände hat sie nicht verdecken können, aber mir schien, als
hätte sie sich gewehrt oder eine Abwehrhaltung eingenommen,
während er auf sie eingeprügelt hat. Kann natürlich auch sein,
dass ich mich täusche.«
»Also waren die Herrschaften auch sonst nicht ohne.« Durant
schloss die Augen und legte zwei Finger an die Nasenwurzel.
»Nennt mir Kombinationen aus den Namen an der Wand, Kombinationen,
die Sinn machen.«
»Kröger und Hohl«, sagte Seidel wie aus der Pistole geschossen.
»Die beiden haben von allen das mit Abstand stärkste
Motiv.«
»Aber wie sind sie oder ist einer von ihnen in die Festung der
Sittler eingedrungen? Kann mir das einer verraten? Sie hatten
keinen Schlüssel, und die Sittler hat doch wohl nur Personen aufgemacht,
die sie auch kannte, bei ihrer panischen Angst vor Menschen.
«
»Panische Angst vor Menschen?«, sagte Kullmer kopfschüttelnd.
»Die bestellt sich Callboys ins Haus, ist sexsüchtig, treibt's
mit Männern und Frauen, schluckt Medikamente wie eine Verrückte
und säuft und ...«
»Ja, stimmt schon, die Cornelius behauptet ja auch, dass die
Sittler mit ihrer Angst gespielt hat, und als Psychologin wird sie
das ja wohl ziemlich gut beurteilen können, ich unterstelle das
zumindest. Trotzdem, um auf meine Frage zurückzukommen -
wie ist die Person in die Festung gelangt?«
»Haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, dass sich jemand
wie dieser Ricardo hergerichtet haben könnte? Was uns
fehlt, ist das Aufzeichnungsgerät der Videoüberwachung«, warf
Berger ein.
»Dann hätte derjenige aber sehr genau wissen müssen, wie
Ricardo aussieht. Andererseits war die Sittler richtig geil, und
wir alle wissen, dass Geilheit auch die Sinne vernebelt. Sie hatte
Ricardo erwartet, das Ambiente entsprechend gestaltet und
die Tür einfach geöffnet, weil sie ja keinen anderen erwartete.
Es gab eine festgelegte Uhrzeit, und die hat Ricardo immer eingehalten.
Das wusste der Täter und klingelte um genau diese
Zeit. Die Sittler hat vermutlich gar keinen intensiven Blick auf
den Überwachungsmonitor geworfen, denn wer sonst außer Ricardo
hätte schon zu der verabredeten Zeit vor der Tür stehen
sollen? Ihr Fehler war, dass sie für ihre Verhältnisse unvorsichtig
war.«
»Alles schön und gut«, bemerkte Kullmer, »aber sobald ein
Fremder vor ihr gestanden hätte, wäre es doch mit Sicherheit
zum Kampf gekommen, oder? Es gab aber keinen, wie du selbst
schon gesagt hast.«
»Und wenn der Täter einen Trick angewandt hat?«, meinte
Seidel. »Hast du nicht gesagt, dass die Simonek keine Telefonnummer
von der Sittler hatte?«
»Ja, und? Worauf willst du hinaus?«
»Ganz einfach, derjenige ist ins Haus gelangt und hat der Sittler
erzählt, dass Ricardo plötzlich krank geworden sei und er für
ihn einspringe. Na ja, dann das übliche Blabla, aber er könne ja
wieder gehen, wenn sie nicht mit ihm schlafen wolle, und so weiter
und so fort. Und da kommt wieder die Geilheit ins Spiel.«
Durant hatte erneut die Augen geschlossen. Sie hob die Hand
und sagte: »Augenblick, ich glaub, ich hab's. Die Simonek hat
mir erzählt, dass die Sittler auf gutgebaute Jungs mit südländischem
Temperament stand. Ich hab bis jetzt nur einen kennengelernt,
auf den eine solche Beschreibung zutrifft - Tobias Hohl,
unser Zahnarzt. Er ist braun gebrannt, ziemlich groß und sehr
muskulös, definitiv der Idealtyp für die Sittler. Er hatte von Freitag
auf Samstag Notdienst, allerdings eigenen Aussagen zufolge
nur einen Patienten nachts um halb drei. Auch für den Sonntag
und den Dienstag hat er sehr schwammige und nicht nachprüfbare
Alibis. Doch Hohl? Und wenn, wer ist sein Komplize?«
»Kröger«, sagte Seidel, »sein Freund, und auch einer, der ein
handfestes Motiv hat.«
»Nein«, entgegnete Durant, »das ist mir irgendwie zu einfach.
Wenn die beiden die Morde begangen haben, dann hätten sie vorher
wissen müssen, dass sie auf der Liste ganz, ganz oben stehen
würden, denn sie hätten ebenfalls wissen müssen, dass wir nach
den Zetteln auch die Vita der Opfer überprüfen und auf
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