Das Todeswrack
aufregenden Viehdiebstahl zu handeln schien, stellte sich letztlich heraus, dass das Tier einfach nur weggelaufen war. Dennoch war dies der einzige Fall seiner Karriere gewesen, der sich am ehesten mit der Suche nach einer verloren gegangenen archäologischen Expedition vergleichen ließ.
Mustapha kannte diesen Flecken, der von den Berbern aufgrund der alten Gräber als »Platz der Toten« bezeichnet wurde, und er wusste von den nahen Ruinen. Das hier war eine ziemlich abgelegene Ecke seines Zuständigkeitsbereichs, der Hunderte von Quadratkilometern umfasste. Er hatte diesen einsamen Ort erst ein einziges Mal besucht und damals umgehend beschlossen, er würde nur im äußersten Notfall hierher zurückkehren.
Die Frau blieb stehen und verharrte einen Moment.
Gedankenverloren stemmte sie die Hände in die Hüften. Dann kam sie zu dem Jeep herüber. »Das verstehe ich nicht«, sagte sie und runzelte verwirrt die Stirn. »Das Lager befand sich genau hier.
Die Zelte, die Wagen.
Alles
ist verschwunden.«
Der Hauptmann wandte sich an den breitschultrigen Mann, dessen Haar so weiß war wie der Schnee im Atlasgebirge.
»Vielleicht irrt die Mademoiselle sich hinsichtlich des Orts.«
Nina funkelte den Polizeibeamten wütend an. »Mademoiselle irrt sich
nicht
.«
Er seufzte. »Diese Leute, von denen Sie überfallen wurden.
Banditen?«
Sie dachte kurz darüber nach. »Nein, ich glaube nicht, dass das Banditen gewesen sind.«
Mustapha zuckte die Achseln mit einer so typisch französischen Geste, dass sie eines Pariser Citoyens würdig gewesen wäre. Er zündete sich eine Gauloise an und schob seine Schirmmütze in den Nacken. In Gegenwart einer Frau, deren Arme und Beine nicht bedeckt waren, fühlte er sich irgendwie unwohl, aber er war kein teilnahmsloser Mensch. Er hätte blind sein müssen, um die Schnittwunden in ihrer Haut zu übersehen, und zudem war die Frau eindeutig seelisch aufgewühlt.
Trotzdem konnte er mit eigenen Augen erkennen, dass sich hier weder Zelte noch ein Haufen Leichen, noch irgendwelche Fahrzeuge befanden. Streng genommen deutete überhaupt nichts darauf hin, dass diese Geschichte der Wahrheit entsprach.
Der Beamte zog an seiner Zigarette und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. »Man hat mich natürlich davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Expedition am Platz der Toten Ausgrabungen vornimmt. Vielleicht sind die Leute abgereist, ohne Ihnen Bescheid zu geben.«
»Na klasse«, seufzte Nina. »Von allen Bullen in Marokko erwische ich ausgerechnet den Inspektor Clouseau der Berber.«
Ninas strapazierte Nerven hatten sie reizbar werden lassen.
Nach allem, was sie durchgemacht hatte, konnte Austin gut verstehen, dass sie ungehalten auf die Begriffsstutzigkeit des Polizisten reagierte, aber er beschloss, dass es jetzt an der Zeit war einzuschreiten. »Nina, Sie haben gesagt, es habe ein großes Lagerfeuer gegeben. Könnten Sie mir zeigen, wo das ungefähr gewesen ist?«
Nina führte ihn annähernd in die Mitte der Freifläche und zog mit der Schuhspitze ein
X
in den Staub. Der Polizeibeamte schlenderte gemächlich hinter ihnen her.
»Hier in etwa, würde ich sagen.«
»Haben Sie eine Schaufel?«, fragte Austin den Polizisten.
»Ja, natürlich. Wenn man in die Wüste fährt, ist eine Schaufel unverzichtbar.«
Gemessenen Schritts ging Mustapha zu seinem Jeep, kramte in einer Werkzeugkiste und holte einen kurzen Klappspaten aus Armeebeständen hervor. Austin nahm den Spaten, kniete sich zu Ninas Füßen hin und begann, eine Reihe paralleler Furchen von ungefähr fünfzehn Zentimetern Tiefe zu graben. Die ersten beiden förderten nichts von Interesse zutage, aber die dritte war ein Volltreffer.
Austin schöpfte eine Hand voll geschwärzter Erde empor und roch daran. »Asche von einem Feuer.« Er legte die Hand flach auf den Boden. »Noch warm«, sagte er.
Nina hörte nur halb hin. Sie starrte auf ein Stück Erde hinter Austin, das sich zu bewegen schien.
»Da«, flüsterte sie.
Der dunkle Fleck bestand aus Tausenden von winzigen wimmelnden Insekten. Mit einer Kante des Spatenblatts schob Austin einen Teil der glänzenden Ameisentraube beiseite und fing an zu graben. Fünfzehn Zentimeter unter der Oberfläche stieß er auf dunkelrot gefärbte Erde. Er erweiterte das Loch.
Noch mehr rote Flecken. Der gesamte Boden war davon durchtränkt. Nina ging neben ihm in die Knie. Der widerliche Geruch von getrocknetem Blut stieg ihr in die Nase.
»Hier wurden sie erschossen«, sagte sie. Ihre
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