Das Tor ins Nichts
neben mich getreten war und meinen Blick bemerkt hatte. »Sie brauchen einen Schweißbrenner und mindestens eine Stunde Zeit, um auch nur einen der Stäbe durchzuschneiden.«
Ich beugte mich vor. »Aber es ist keiner beschädigt«, sagte ich.
Sanders nickte. Er sah plötzlich aus, als litte er unter heftigen Zahnschmerzen. »Das ist es ja gerade«, sagte er. »Keine der Alarmeinrichtungen wurde ausgelöst. Die Schlösser haben nicht einen Kratzer, und die Videobänder behaupten, daß niemand hier drinnen war.«
»Hier?«
Sanders nickte. »Natürlich gibt es hier auch Kameras was denken Sie?«
Ich sah mich suchend um, konnte aber keine entdekken.
Sanders lächelte triumphierend. Allerdings nur so lange, bis ich ihn aufforderte, die Kameras abzuschalten.
»Wie bitte?« fragte er, als könne er nicht glauben, was er da gerade gehört hatte.
»Schalten Sie sie ab«, wiederholte ich. »Und ebenso alle Mikrophone und anderen Aufzeichnungsvorrichtungen, die es noch geben sollte.«
»Aber wieso denn?« fragte Sanders verwirrt.
Eine berechtigte Frage. Aber ich konnte ihm doch nicht gut sagen, daß ich bloß keine Lust hatte, mich selbst auf einem Dutzend Videobänder verewigt zu sehen, wie ich eine zweihundert Millionen Jahre alte Beschwörungsformel las.
»Tun Sie es, Mijnheer Sanders«, sagte Dreistmeer. »Bitte.
Mister Craven genießt unser vollstes Vertrauen.«
Sanders schien nicht überzeugt, zuckte aber schließlich die Achseln und wandte sich an den Hauptkassierer. »Tun Sie, was er verlangt.«
»Und bleiben Sie gleich draußen«, fügte ich hinzu. »Und Sie, Mijnheer Sanders, haben vielleicht ebenfalls die Freundlichkeit, uns allein zu lassen.«
Für einen Moment war Sanders einfach sprachlos. Dann färbte sich sein Gesicht rot, und er schüttelte wütend den Kopf.
»Wo denken Sie hin, Sir?« fragte er scharf. »Zuerst verlangen Sie, daß ich die Kameras ausschalte, und dann wollen Sie auch noch alleingelassen werden? Das geht zu weit.«
Ich wollte widersprechen, fing aber einen warnenden Blick von Frans auf und klappte den Mund wieder zu. Ich durfte den Bogen nicht überspannen.
»Gut«, sagte ich, nachdem der Kassierer gegangen war. »Sie können hierbleiben. Aber Sie müssen mir versprechen, zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen von dem zu sagen, was Sie hier sehen und hören werden. Meine Methode ist sehr neu und eigentlich noch streng geheim.«
»Scotland Yard hat sich nur entschlossen, uns zu helfen, weil wir hoffen, gemeinsam einer internationalen Verbrecherbande auf die Spur zu kommen«, fügte Frans hinzu.
Sanders schwieg beleidigt.
Ich beachtete ihn nicht weiter, sondern zog nach einem letzten Blick zur Tür das zusammengefaltete Blatt aus der Tasche, das Dreistmeers Telekopierer mir geliefert hatte.
Obwohl ich nicht aufsah, konnte ich spüren, wie Sanders mich aus aufgerissenen Augen anstarrte, als ich im Flüsterton die unheiligen Worte vorzulesen begann, die darauf geschrieben standen.
Nur für mich, dafür aber sehr inbrünstig, betete ich, daß die Formel auch wirklich so funktionierte, wie ich hoffte. Wenn ich den Text aus den Manuskripten richtig interpretiert hatte, dann mußte ich mit Hilfe dieser Formel nicht nur feststellen können, ob es hier in den letzten Tagen ein Tor gegeben hatte, sondern auch, wie es ausgesehen, und vor allem wer es benutzt hatte, denn wie es in den Manuskripten hieß ein jedes Ding wirft einen Schatten, nicht nur in die Welt, sondern auch in die Zeit, und das kundige Auge vermag ihn zu erkennen.
Meines schien nicht kundig genug zu sein. Ich las den Text zweimal, erst so leise, daß sich eigentlich nur meine Lippen bewegten, dann ein wenig lauter, so daß Dreistmeer und Sanders immerhin ein leises Gebrabbel hören konnten, aber nichts geschah. Weder flackerte das Licht, noch tat sich der Boden auf. Es roch nicht einmal ein bißchen nach Schwefel.
Was hatte ich erwartet?
Ich seufzte, warf Sanders einen verzeihungsheischenden Blick zu und raffte all meinen Mut zusammen. Dann las ich den Text zum drittenmal, und diesmal mit vollem Stimmaufwand. Mir taten dabei nicht nur die Stimmbänder weh, ich war mir auch sehr unangenehm der Tatsache bewußt, daß Sanders und Frans mich für komplett übergeschnappt halten mußten, während ich Worte ausstieß, die sich anhörten, als hätte mein Kater versucht, Schreibmaschine zu schreiben.
»Iah Cthulhu!« rief ich. »Ngäh ngäh chrrrlak! Iah Cthulhu!«
Nichts.
Ich wartete. Zehn Sekunden. Zwanzig.
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