Das Tor ins Nichts
Dreißig. Nichts geschah. Für einen Moment glaubte ich ein winziges Zittern zu spüren, so als ginge ein unmerklicher Ruck durch die Wirklichkeit, aber als ich mich umsah, war die Stahlkammer vollkommen unverändert.
Dafür färbte sich Sanders’ Gesicht allmählich dunkelrot.
Seine Augen blitzten so vor Wut, daß ich plötzlich das Bedürfnis hatte, zur Größe einer Bakterie zusammenzuschrumpfen und mich in der nächsten Bodenritze zu verkriechen.
»Was sind Sie?« fragte er aufgebracht. »So eine Art Wünschelrutengänger? Sie … Sie …«Er sprach nicht aus, was er wirklich von mir hielt ich konnte es mir lebhaft vorstellen , sondern drehte sich mit einer wütenden Bewegung zu Dreistmeer herum und fuhr ihn an: »Was denken Sie sich eigentlich dabei, Inspektor? Ich habe meine Zeit weder gestohlen, noch
…«
Er sprach nicht weiter, denn in diesem Moment … geschah etwas.
Ich konnte im allerersten Moment nicht einmal sagen, was es war, aber diesmal spürten es Dreistmeer und Sanders ebenso deutlich wie ich.
Ein Beben erschütterte die Wirklichkeit, als wäre ein gigantischer Vorschlaghammer auf die Welt herabgestürzt; die Realität erzitterte unter dem Fausthieb eines zornigen Gottes
und dann sahen wir es!
Die Schatten verdichteten sich, schienen zu wachsen, dunkler zu werden, das Licht flackerte jetzt wirklich, wurde rötlicher, und ein eisiger Hauch durchwob die Luft. Ein schreckliches zischendes, knisterndes Geräusch erklang, als würden sich ungeheure elektrische Ströme entladen. Meine Haut begann zu prickeln. Ich spürte, wie sich jedes einzelne Haar auf meinem Kopf aufstellte.
Sanders keuchte und wollte etwas sagen, brachte aber dann nur einen halberstickten wimmernden Laut heraus und starrte aus hervorquellenden Augen auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Und als ich seinem Blick folgte, konnte auch ich einen entsetzten Aufschrei nur mit Mühe unterdrücken.
Auf der stählernen Wand war ein Fleck aus grellem, grünem Licht entstanden. Das Knistern und Zischen wurde lauter, während der Fleck allmählich an Helligkeit zunahm und dabei beständig wuchs. Es sah aus, als fräße sich ein Schweißbrenner mit grüner Flamme einen Weg durch den massiven Stahl.
»Mein Gott!« stöhnte Sanders. »Was …«
»Still!« sagte ich. »Sie sind nicht in Gefahr. Wir sehen nur, was passiert ist!« Der Flecken grellgrüner Helligkeit wuchs weiter, bis sein Durchmesser gute zwei Yards betrug. Schatten entstanden in seinem Zentrum, zerfaserten wieder und bildeten sich neu, um gleich darauf wieder auseinanderzutreiben, wie die flüchtigen Gebilde, die der Nebel manchmal für Sekunden erschafft. Aber anders als diese wurden sie mit jedem Mal massiver. Nicht mehr lange, und sie würden wirklich Gestalt annehmen.
Mein Herz begann vor Erregung zu klopfen. Ich fühlte keine Angst, wußte ich doch, daß wir nur sahen, was vor Tagen geschehen war, wie in einem gespenstischen Film. Hier befand sich ein Tor, genau wie ich geargwöhnt hatte, aber es war ganz anders als das, das ich von meinem Haus in London her kannte.
Seine Umrisse wogten und waberten beständig, und wer immer es erschaffen hatte, schien große Mühe zu haben, es zu stabilisieren.
Nach einer Weile gerannen die Schatten im Zentrum des grünen Lichtmeeres endgültig zu menschlichen Umrissen.
Fünf, sechs, schließlich ein knappes Dutzend ganz in schwarz gekleideter Gestalten traten aus dem Tor heraus, sahen sich einen Moment lang suchend um und bewegten sich dann auf den Gitterkäfig in der Mitte des Saferaumes zu.
Er war nicht mehr leer. Ich erkannte die verschwommenen Umrisse säuberlich aufgestapelter Goldbarren. Einer großen Menge von Goldbarren eine halbe Tonne, erinnerte ich mich, nach Sanders Worten. Die Schattengestalten traten eine nach der anderen an den Käfig heran, griffen durch das enge Stahlgitter hindurch, als wäre es gar nicht vorhanden, und begannen die Goldbarren zum Tor zu tragen, wo weitere, nur schemenhaft erkennbare Männer auf sie warteten und ihnen ihre Last abnahmen. Das Ganze geschah vollkommen lautlos und sehr schnell. Trotz des ungeheuren Gewichtes der Barren arbeiteten die Männer so zügig, daß der Stapel zusehends schmolz. Nach nicht einmal zehn Minuten war der Gitterkäfig leer. Die Männer begannen einer nach dem anderen wieder im grünen Schlund des Tores zu verschwinden.
»Um Gottes willen!« stammelte Sanders. »Wir müssen sie aufhalten!«
Er wollte einen Schritt machen, aber ich hielt ihn grob
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