Das Tor nach Andoran (German Edition)
auf Belgan zu. »Das wagst du nicht,« flüsterte er mit brechender Stimme, dann sank er mit aufgerissenen Augen und verzerrtem Gesicht zu Boden. Gallan erging es wie den anderen, die zusahen.
Belgan hatte die fürchterlichste Waffe gebraucht, die im Glauben der Nayati gleichbedeutend mit ewiger Verdammnis war.
Niemand wagte es von nun an, die Beschlüsse der Räte in Zweifel zu ziehen. Belgan hatte erreicht, was er wollte - Einigkeit. Sangao wurden von herbeigerufenen Helfern aus der Halle getragen und seither sprach keiner mehr von ihm.
Diese Gedanken bewegten Gallan, während er mit Sogan zum Haus der Eltern ging. Seither waren zwei Tage vergangen, in denen Gallan den Aufwiegler nicht einmal zu Gesicht bekam und er fragte sich, was Belgan mit Sangao angestellt hatte, damit dieser sich ruhig verhielt. Sie hatten das Haus erreicht, und als Gallan die Tür öffnete, blieb Sogan stehen. »Ich komme nicht mit, Vater und Belgan wollen nur mit dir sprechen,« gab ihm sein Bruder zu verstehen. »Ich besuche Leja.«
Gallan schmunzelte und ließ Sogan gehen. Leja, das kleine schüchterne Mädchen, als das es Gallan kannte, ehe er Ituma verließ, war in der Zwischenzeit zur jungen Frau herangewachsen. Sogan und Leja waren verlobt und die Ehezeremonie sollte im Herbst, also in wenigen Monaten stattfinden. * Wenn wir dann noch leben, * dachte Gallan bitter.
Als er die Tür hinter sich schloss, begegnete ihm Kaya seine jüngere Schwester auf dem Gang. Sie blickte ihn nur kurz an und lächelt unsicher, dann verschwand sie im Zimmer, das sie sich mit ihrem Mann und den Kindern teilte. In der Wohnstube angekommen, fand er Garan und Belgan um den Tisch sitzend vor. Garan sah zu ihm auf und deutete ihm an sich zu ihnen zu setzen.
In dem von einigen Talglichtern nur schwach erhelltem Raum, vermochte Gallan das Gesicht des Schamanen nur als schemenhaften dunklen Fleck zu erkennen, aber an Belgans Haltung erkannte er die Stärke, die von ihm ausging.
Es war die Kraft eines Mannes, die nur aus dem Wissen um die Zusammenhänge des Lebens kam. Die blinden Augen Belgans sahen ihn an und Gallan wusste, das der Schamane jeder seiner Regungen fühlte. Belgans Schweigen irritierte Gallan für einen Moment, doch dann begriff er, was gerade geschah. Der Schamane befand sich in Trance.
Gallan sah seinen Vater an, der mit unbeweglicher Miene Belgan beobachtete. Leises an und abschwellendes Summen kam aus Belgans Mund, dessen Augenlider zu flattern und die schmalen dürren Schultern zu zuckten anfingen.
Unbeweglich, um die Konzentration des Schamanen nicht zu stören, saß Gallan auf seinem Stuhl und wartete, bis Belgan wieder in diese Welt zurückkehrte. Zäh flossen die Minuten dahin, in denen der Raum von absoluter Stille erfüllt war. Plötzlich verstummte Belgan und der Blick seiner leeren Augen suchte die Stelle an der Gallan saß.
»Ich brauche deine Hilfe Gallan, zeige dich mir, damit ich dich finden kann,« sprach eine Stimme die nicht Belgan gehörte, sondern einem Mädchen oder einer jungen Frau. Belgan versteifte sich für einen kurzen Moment, dann fiel sein erschlaffender Körper nach vorne auf die Tischplatte. Nur wenige Sekunden später richtete er sich wieder auf und tastete mit den Händen nach Gallan. Belgans Hände zitterten, als er dem Ärmel von Gallans Jacke zu fassen bekam, krallten sich daran fest und zogen daran. »Öffne deinen Geist Gallan, damit das Einhorn dich findet. Es bringt mächtige Verbündete mit, die uns im Kampf gegen Kishos Horden beistehen. Noch ist nichts verloren.«
Gallan sah unbehaglich zu seinem Vater. * Weshalb hatte Belgan vor ihm vom Einhorn gesprochen? Von dieser Schande sollte Garan nie etwas erfahren.*
Als hätte er Gallans Blick bemerkt, sagte der Schamane. »Dein Vater weiß von dem Einhorn und deinen Taten, aber das ist jetzt nicht so wichtig. Sorge dafür, dass dich das Einhorn findet, und nun geh.«
Verwirrt blickte Gallan vom Schamanen zu seinem Vater und wieder zurück, doch als er keinerlei Regung in ihren Gesichtern erkennen konnte, stand er auf und verließ den Raum.
Ohne sich dessen bewusst zu werden, ging Gallan den Weg, der er zuvor genommen hatte, zurück und stieg über die Treppe zur Wehrmauer hinauf. Oben angekommen wandte er sich dem nordöstlichen Abschnitt zu und blickte zwischen den Zinnen in die Ferne. Irgendwo da draußen war das Einhorn und suchte nach ihm. Der Schamane behielt recht. Du musst das Einhorn nicht suchen, es wird zurückkehren, und dich finden.
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