Das Tor nach Andoran (German Edition)
die Stallung zu. Von dort aus nahm er den direkten Weg in die Festung. In einer dunklen Nische wartete Kashim einige Zeit und überlegte fieberhaft, wo er mit der Suche nach seinem Sohn beginnen sollte.
Eigentlich gab es keinen Bereich in der Festung, den er in all den Jahren nicht schon durchsucht hätte. Vom obersten Turmzimmer, bis hinunter in den Westflügel, wo die Verliese lagen, war er auf seiner Suche gekommen. * Brachte Kisho seinen Sohn in ein für ihn unsichtbares Versteck?
Dieser Gedanke beunruhigte Kashim, deshalb verbannte er in die hinterste Ecke seines Bewusstseins und versuchte sich die Räume in Erinnerung zu rufen, die er noch nicht abgesucht hatte.
Die Gewölbe unter dem Ostflügel dienten als Rumpelkammern, in denen die Gegenstände lagerten, die nicht mehr gebraucht wurden. Ob er es hier einmal versuchen sollte? Kashim war wie elektrisiert von diesem Gedanken.
Eine eisige Faust umklammerte plötzlich Kashims Herz. Der Gedanke, der ihm bei seiner Überlegung gekommen war, setzte sich fest und wollte ihn nicht mehr loslassen. Er musste Gewissheit haben, deshalb nahm er die staubbedeckten Stufen, die hinunter in die Gewölbe führten. An der Wand hing in einer Halterung eine Fackel, die Kashim entzündete. Orientierend sah sich Kashim um.
Er stand in einem riesigen Gewölbe, das angefüllt mit altem Gerümpel war. Es gab viele dieser Gewölbe, wie er feststellte. Immer weiter drang er in diese vor Dreck und Unrat starrende Unterwelt vor. Doch je entfernter die Gewölbe lagen umso weniger glaubte er an seinen Erfolg. Die Wände wurden feuchter und auf dem Boden sammelten sich Pfützen je weiter er vordrang. Die unzähligen Gänge glichen einem Labyrinth und es bereitete ihm Mühe, nicht die Orientierung zu verlieren.
Kashim suchte nun schon seit Stunden und er musste sich aus dem Holz, das er fand, provisorische Fackeln machen. Die Fackel, die er am Eingang zu dem Labyrinth entzündet hatte, war längst verloschen.
Kashim betrat einen weiteren Gang, der wie es schien endlos in den Berg führte. Die Fackel in seiner Hand begann zu flackern und es würde nicht mehr lange dauern, bis er im Dunkeln stand.
Er wollte schon umkehren, als sein Blick eine verdeckte Nische streifte. Eine dicke fette Ratte flüchtete quietschend, durch das Licht der Fackel aufgeschreckt in die Dunkelheit. Mehr aus Neugier, als wirklich etwas zu erwarten, hielt Kashim die Fackel in die Nische und erstarrte augenblicklich.
An Ketten, die in der Wand eingelassen waren, hing ein halb verwester Leib, deren verschmutzte Kleidung Kashim augenblicklich wieder erkannte.
Der Lederanzug mit den silbernen Knöpfen, der gestickte Adler auf der linken Brustseite der Jacke. Die Leiche hatte noch die einst aus weichem Wildleder gearbeiteten Stiefel an, von deren Bund am Knie Fransen herunterhingen. All diese Sachen trug Kashima an dem Tag, als er ihn das letzte Mal sah.
Tränen schossen in Kashims Augen, dem bewusst wurde, wie grausam er von dem Tyrannen getäuscht wurde. Mit glasigem Blick trat Kashim weiter in die Nische hinein. Ein dumpfer Schrei drang über seine Lippen und er torkelte auf die Überreste seines Sohnes zu.
Mit einem erstickten Laut fiel Kashim auf die Knie und schlug mit den Fäusten auf den vor Dreck starrenden Boden. »Vergib mir Kashima,« stammelte er, dann brach ein animalischer Klageton aus seiner Kehle hervor, dessen Echo schaurig von den Gewölben zurückhallte. Kraftlos ließ Kashim die Arme sinken und starrte mit leerem Blick auf das, was von seinem Sohn übrig geblieben war.
Er kam erst wieder zu sich, als die Fackel beinahe erlosch. Mühsam und kraftlos richtete Kashim sich auf. Der Schmerz über den Verlust seines Sohnes beraubte ihn aller Gefühle. Nur die Hoffnung, seinen Sohn eines Tages wieder in die Arme schließen zu können, war die Triebfeder seines Handelns gewesen. Nur aus diesem Grund unterwarf er sich dem schwarzen Baron und befolgte seine Befehle. Kashim richtete sich auf und suchte nach etwas Brennbarem, das er mit der allmählich erlöschenden Fackel entzünden konnte.
Auf seinem Weg zurück, loderte nur noch ein Gedanke in seinem Gehirn. Rache, er wollte Rache für den Betrug und den Tod von Kashima.
Kashim erreichte die Treppe noch, ehe seine Fackel erlosch. Dort setzte er sich auf die Stufen und begann über die Ausführung seiner Rache nachzudenken.
Er wusste nicht, wie lange er auf dem kalten feuchten Stufen gesessen hatte, als er schwache Geräusche aus dem Gang zu hören
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