Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Frauen das Feld überlassen.
»Das Kind!«, rief Mabel voller Entsetzen, dann krümmte sie sich wieder vor Schmerz. Sie jammerte, atmete, hechelte und schrie wie ein verwundetes Tier bis tief in die Nacht hinein. Catlin wich ebenso wenig von ihrer Seite wie Winnie, die durch die Geburt ihrer eigenen Kinder und den Verlust der kleinen Tochter als Einzige der drei Frauen wusste, durch welche Hölle Mabel gehen musste. Sanft und entschlossen zugleich sprach sie Mabel immer wieder Mut zu, wenn diese zu verzweifeln drohte. Während Catlin ihrer Freundin die schweißnasse Stirn kühlte, bemühten sich Elfreda und Winnie mit Kräuteraufgüssen und Gebeten, die Geburtswehen aufzuhalten. Doch ihre Mühen waren vergebens.
Mabel verlor viel Blut und das Kind des Königs. Einen winzigen Jungen mit rundem Köpfchen und einem spärlichen Schopf flaumiger Haare. Seine zart marmorierte Haut war glatt und glänzend wie aus schönstem Rosenquarz. Elfreda taufte ihn notdürftig, solange noch ein Hauch von Leben in ihm zu sein schien, murmelte ein Gebet und zeichnete ihm ein winziges Kreuz auf die Stirn, damit seine unschuldige Seele ihren Platz im Paradies fand.
Catlin hatte Mühe, das Kind anzusehen, obwohl sein Antlitz Ruhe und Frieden ausstrahlte. Geburt und Tod waren so enge Verwandte wie Bruder und Schwester. Catlin senkte den Blick und umklammerte hilflos Mabels Hand. Weder Winnie noch Elfreda konnten ahnen, welch großen Schrecken ihr die verfrühte Niederkunft der Freundin und der tot geborene Sohn einjagten. Nur Mabel wusste, dass auch Catlin guter Hoffnung war. Doch die Ärmste war kaum bei Sinnen. Sie weinte nur und jammerte ob ihres traurigen Schicksals. Ein still geborenes Kind war eine große Prüfung. Kein Schrei holte es ins Leben, nur Tränen begleiteten seinen Tod. Obwohl der Junge bereits beim Herrn war, bestand Winnie entgegen allen Gebräuchen darauf, den zarten Leib zu waschen und in ein sauberes Tuch zu wickeln. Das kleine Mädchen, das sie selbst verloren hatte, war nicht zu früh geboren und musste viel größer und schwerer gewesen sein als das Knäblein, das sie nun in Händen hielt. Leichter als ein kleiner Laib Brot und kaum länger als die Hand eines Mannes war es und doch schon ein vollkommener Mensch mit fein gezeichneter Nase, einem herzförmigen Mund, fünf Fingern an jedem Händchen und fünf Zehen an jedem Fuß.
»Hast du schon einen Namen für deinen Sohn gewählt?«, fragte Winnie sanft und legte Mabel das winzige Bündel in die Arme.
»Henry.« Die Antwort war nicht mehr als ein ersticktes Schluchzen.
»Henry«, wiederholte Winnie mit traurigem Lächeln. »Nimm dir Zeit, um von ihm Abschied zu nehmen«, sagte sie mit weicher Stimme und fuhr Mabel in mütterlicher Weise über das Haar, obwohl sie die Jüngere war. »Der Herr wird für ihn sorgen, er ist nicht allein.« Sie faltete die Hände und betete zur Muttergottes.
»Ave Maria, gratia plena
Dominus tecum
Benedicta tu in mulieribus
Et benedictus fructus ventris tui.
Amen«
Sie bekreuzigte sich und fuhr mit dem Vaterunser fort. Catlin und Elfreda falteten ebenfalls die Hände und folgten ihrem Beispiel.
»Pater noster qui in coelis est
Sanctificetur nomen tuum
Adveniat regnum tuum
Fiat voluntas tua et in terra sicut in coelo
Panem nostrum quotidianum da nobis hodie
Et dimitte nobis debita nostra
Sicut et dimittemus debitoribus nostris
Et ne nos inducas in tentationem
Sed libera nos a malo.
Amen«
Sie sprachen das Gebet auf Lateinisch, so wie sie es vom Dorfpriester gelernt hatten. Obwohl sie die einzelnen Worte nicht verstanden, erfüllten sie doch ihren Zweck, gaben Halt und waren Stütze. Niemand sollte an der Liebe und Güte des Herrn zweifeln. Ganz gleich, wie groß die Trauer war, das Vertrauen in Gott musste größer sein, sonst war die Menschheit verloren.
»Sie ist schwach, aber sie wird sich erholen«, versuchte Elfreda Catlin zu beruhigen, als sie später ein Weilchen hinausgingen, und nahm sie in den Arm. »Sorg dich nicht zu sehr!« Fürsorglich wischte sie ihr eine Träne von der Wange. »Mabel ist jung und wird noch viele Kinder bekommen.«
Knightly erreichte den Palast in Oxford bei Anbruch der Nacht. Er sprang von dem völlig verschwitzten Pferd, das er angetrieben hatte, bis es vor Erschöpfung beinahe zusammengebrochen war, und fragte sogleich nach seinem Bruder.
»Ich brauche deine Hilfe – es geht um eine Nachricht für den König«, erklärte er, nachdem er Richard umarmt hatte.
»Warum tust du so
Weitere Kostenlose Bücher