Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
für sie.
Catlin schüttelte den Kopf. »Sieh nur!«
Eine Menschtraube hatte sich vor der Werkstatt des Glockengießers gebildet.
»Lasst uns durch!«, rief Corvinus und bahnte ihnen einen Weg durch die Menge.
»Der Glockengießer«, hörten sie einen Mann raunen. »Erschlagen wie ein räudiger Hund«, glaubte Catlin eine Frau tuscheln zu hören. »Am Wegesrand liegen gelassen.«
Catlins Knie wurden weich wie frisch geschorene Wolle. In ihren Ohren rauschte und klingelte es. Die Stimmen ringsum wurden zu dumpfem Gemurmel.
»Komm!« Corvinus zog sie am Arm.
Ein Bote des Erzbischofs stand in der Werkstatt, seine prächtige Kleidung wollte nicht recht zu seinem düsteren Gesichtsausdruck passen. Falten auf der Stirn zeigten sein Bedauern. »Meisterin«, sagte er. Was er dann noch sprach, versank als Rauschen in Catlins Ohren, nur Wortfetzen konnte sie noch erhaschen. Tot. Erschlagen wegen seines Geldes. Vogelfreie. Wegelagerer in der Gegend. Erzbischof … vergeblich gewartet … gefunden … beerdigt. Catlins Übelkeit nahm zu, ihr Leib zog sich zusammen, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Als sie erwachte, lag sie in ihrem Bett, die Vorhänge waren zugezogen. Es war Nacht.
»John?«, rief sie schwach.
»Es ist gut, alles gut!« Es war Corvinus, der ihr die Hand tätschelte. »Du hast einen Sohn bekommen.« Sein Gesicht erschien über dem ihren. In der Hand hielt er ein schwaches Licht. Er lächelte, doch die Trauer in seinem Gesicht konnte er nicht verbergen.
»Wie geht es ihm? Ist er wohlauf?« Catlin stemmte sich hoch. »Er lebt doch, oder?« Die Geburt war leichter gewesen als die von Aedwyna, bei der sie vor Schmerz immer wieder das Bewusstsein verloren hatte, weil das Kind mit der Schulter festgesteckt hatte.
»Gewiss lebt er. Er schläft«, sagte Corvinus sanft und deutete auf das Binsenkörbchen neben ihrem Bett.
Catlin war erleichtert und ließ sich in die Kissen zurücksinken. »Und John? Was ist mit John?«, fragte sie matt. Sie wollte sich erinnern, doch immer wenn sie den Worten, die sie noch im Ohr hatte, einen Sinn zu geben versuchte, schienen sie zu schwinden, wurden dumpf und unverständlich. Als Corvinus nicht antwortete, richtete sie sich abermals auf und stützte sich mit den Ellbogen ab. »Was ist mit John?«, beharrte sie, die Augen weit aufgerissen. Sie kannte die Antwort längst – die Wahrheit musste nur noch ausgesprochen werden, damit sie sie begriff.
»John ist tot«, sagte Corvinus leise und setzte sich zu ihr auf den Bettrand. Er stellte das Talglicht auf dem Tisch neben ihrem Lager ab und nahm ihre Hand.
»Der Erzbischof hat einen Boten geschickt.«
»Wo ist sein Leichnam? Ich will ihn sehen!«, rief Catlin, und alles in ihr lehnte sich gegen die bittere Gewissheit auf. An John hing doch alles. Die Werkstatt, die Glocken, ihre Träume, ihre Zukunft.
»Cat, er ist bereits beerdigt. In Canterbury. Der Erzbischof selbst hat dafür gesorgt.«
Catlin schüttelte den Kopf. »Aber …« Sie schlug die Hände vor das Gesicht. »Die Glocke. Er wollte doch unbedingt die Glocke für Canterbury gießen!« Sie weinte, lange und hemmungslos. »Hat er den Auftrag bekommen?«, fragte sie plötzlich und sah Corvinus erwartungsvoll an.
»Ich weiß es nicht.« Corvinus hob die Schultern und schüttelte mutlos den Kopf. »Was soll nun werden?«, fragte er verzweifelt. »Ich will nicht von hier fort.«
»Niemand schickt dich weg!«, antwortete Catlin barscher als beabsichtigt. Sie rang nach Atem. »Dein Meister ist tot, aber deine Meisterin lebt. Ich habe einen Sohn und damit das Recht, die Werkstatt weiterzuführen, bis er alt genug ist, um sie zu übernehmen«, erklärte sie kämpferisch.
Corvinus lächelte verzweifelt und sah sich um, als ein leises Wimmern zu vernehmen war, das sich rasch zu einem ohrenbetäubenden Schreien entwickelte. »Scheint hungrig zu sein, das Kerlchen. Fühlst du dich stark genug, oder soll ich mich um eine Amme kümmern? Eine der Nachbarinnen hat sich angeboten.«
Catlin schüttelte den Kopf. »Wir müssen unser Geld zusammenhalten. Ich habe Aedwyna gestillt, ich werde auch meinen Sohn satt bekommen.«
Corvinus nickte. Er schien mit einem Mal gereift. Wenngleich seinen Gesichtszügen noch immer etwas Kindliches anhaftete, ließ sich bereits erahnen, dass einmal ein ansehnlicher, kräftiger Mann aus ihm würde. »Du musst dir den Bart schaben«, riet ihm Catlin mütterlich. Dichter Flaum spross auf seinen Wangen. »Dann wird er stark und drahtig.« Sie
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