Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
gesehen.
Im letzten Jahr, ganz auf sich allein gestellt, war er auf der Suche nach Arbeit in die Nähe seines Heimatdorfes gekommen und hatte das Haus aufgesucht, in dem er geboren und aufgewachsen war. Dort hatte er erfahren, dass sein Vater gestorben, die Mutter erneut verheiratet war. Drei kleine Kinder, eines davon noch in Windeln, hatten an ihrem Rockzipfel gehangen. Unsicher hatte sie den Sohn gemustert. Nicht Freude über das Wiedersehen oder Stolz, weil er ein Mann geworden war, hatte er in ihren Augen gelesen, sondern Furcht. Angst vermutlich vor der Eifersucht ihres neuen Gemahles. An ihrem argwöhnischen Blick, der immer wieder zur Tür huschte, dem gramgebeugten Rücken und dem demütig gesenkten Kopf hatte er erkannt, dass der Stiefvater sie schlug. Trotzdem hatte er kein Mitleid mit ihr empfunden, nur Trauer und schreckliche Einsamkeit. Randal rang nach Atem. Immer wenn er daran dachte, war ihm, als müsse er ersticken. Von seiner Mutter war ihm nur die Lieblosigkeit jenes Augenblickes geblieben und von seinem Vater nicht mehr als die Erinnerung an den Tag, an dem er ihm zum letzten Mal Lebewohl gesagt hatte. Der Vater hatte ihm Gutes gewollt, hatte ihn einzig aus diesem Grund fortgehen lassen. Doch ein Junge brauchte den Vater, um zum Mann zu werden. Darum hatte sich Randal den Meister zum Vorbild erkoren, und mit den Jahren war ihm dieser zu einem besseren Vater geworden, als er ihn je gehabt hatte.
Der Meister hatte Helfer für die schweren Aufgaben gehabt, die sie nicht allein hatten bewältigen können. Oft aber waren sie nur zu zweit gewesen, bei der Arbeit und am Abend, wenn sie sich müde vom Tagewerk etwas zu essen bereitet hatten. Der Meister war oft wortkarg gewesen, trotzdem hatte Randal sich ihm verbunden gefühlt.
Mein Junge , hatte der Meister ihn irgendwann genannt, und manchmal hatte er sogar Sohn zu ihm gesagt. Für Randal war dies Beweis genug gewesen, dass der Meister mehr in ihm sah als einen einfachen Lehrjungen.
Manchmal, wenn der Meister über Tags unzufrieden gewesen war und ihn gescholten hatte, war Randal des Nachts weinend eingeschlafen und umso glücklicher gewesen, wenn am nächsten Morgen alles vergeben und vergessen war. Die Angst jedoch, den Meister eines Tages zu verlieren, so wie Vater und Mutter, hatte ihn niemals losgelassen.
Am meisten hatte er sich jedes Mal vor dem Ende ihrer Arbeit gefürchtet. Wenn sie ausbezahlt worden waren und sich einen neuen Auftrag hatten suchen müssen, dann war der Meister für etliche Tage fortgegangen, hatte Randal mit einer Handvoll Münzen in einer wohlfeilen Herberge zurückgelassen und ihm versichert, er werde bald kommen und ihn holen. Kein Auge hatte Randal in jenen Nächten zugetan, keinen Bissen hinunterbekommen, bis der Meister tatsächlich wieder vor ihm gestanden hatte.
Niedergeschlagen war dieser dann zumeist gewesen, und ein Großteil des Geldes, das sie in den Monaten zuvor verdient hatten, war verschwunden.
Immer wieder hatte Randal sich den Kopf zerbrochen, wohin es den Meister wohl gezogen haben mochte, wenn er fortgegangen war. Ob er wohl trank und das Geld verspielte? Aus Angst, dass er irgendwann einmal nicht zurückkommen würde, hatte Randal eines Tages beschlossen, ihm heimlich zu folgen, und so hatte das Unglück seinen Lauf genommen …
Hoch auf des Turmes Glockenstube
Da wird es von uns zeugen laut
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
I m Spätsommer, als die Weizenfelder weißblond leuchteten, so weit das Auge reichte, war das Werk des Glockengießers vollendet. Sooft es ihre Arbeit in der Schmiede erlaubt hatte, war Catlin zur Abtei gekommen, um dem Glockengießer bei der Arbeit zuzusehen. Geduldig hatte sich der Meister ihren Fragen gestellt und sie mithilfe eines Glockenspieles gelehrt, einzelne Töne zu benennen. Ihr feines Gehör hatte den Meister beeindruckt, und seine Begeisterung hatte Catlin weiter angespornt. Thomas dagegen hatte nur gelangweilt den Blick zum Himmel erhoben, weil ihm all das nichts bedeutete. Wein keltern, hatte er Catlin einmal anvertraut, das hätte ihm gefallen. Wein?, hatte sie ungläubig nachgefragt. Und Bier brauen, hatte er hinzugefügt, und zum ersten Mal seit Langem hatten seine Augen wieder gefunkelt. Es sei schwierig, Wein zu machen, dass er nicht sauer werde wie Essig, hatte er erklärt, als hätte er Ahnung davon, und voller Inbrunst behauptet, dass auch ein gutes Bier von jedem geschätzt werde. Catlin hatte nur mit den Schultern gezuckt. Wasser, Cidre
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