Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Die Zärtlichkeit jener Geste schnitt ihm wie eine scharfe Klinge mitten ins Herz. Arm in Arm lief der Meister mit dem jungen Mönch über die Wiese, balgte sich mit ihm im Gras und rang mit ihm. Eifersucht zehrte an Randal wie ein Feuer und drohte ihn zu verbrennen. Schweiß rann ihm am Körper hinab. Warum er? Warum nicht ich? Was hatte der junge Mönch, fast ein Knabe noch, was er nicht hatte? Randal konnte sich nicht dicht genug an die beiden heranschleichen, um sie zu belauschen, konnte nur ahnen, was sie sich zu sagen hatten, sah, wie sie wieder hinter der Mauer verschwanden, und ließ seiner Vorstellungskraft freien Lauf. Mönche hatten keusch zu sein. Randal wusste von Unzucht unter Männern. Sogar Bischöfe gaben sich ihr hin. Schenkte man den Gerüchten Glauben, so frönten mehr Männer der widernatürlichen Lust mit einem Knaben, als man erwarten mochte. Wut und Hilflosigkeit überkamen Randal. Warum liebte der Meister den Mönchsjungen mehr als ihn? Bei den Latrinen hatte er einmal zwei Männer beobachtet, die sich der stummen Sünde hingegeben hatten. Wie Tiere einer hinter dem anderen. Es wollte ihm den Atem verschlagen, so abstoßend fand er das, was er da gesehen hatte. Wenn dies aber der Preis war, um die väterliche Liebe seines Meisters für immer sein Eigen zu nennen, so würde er ihn zahlen, denn um nichts in der Welt wollte er ihn verlieren. Er brauchte ihn, seine Aufmerksamkeit, das leichte Nicken, wenn er mit der Arbeit seines Lehrjungen zufrieden war, denn mehr Lob gab es selten. Randal spürte, dass ihm Tränen über die Wangen liefen. Auch wenn es ihm unsagbar schwerfiel, er wusste, was zu tun war, wollte er den Meister an sich binden.
Schweißgebadet erwachte Randal. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Schmach zu groß geworden wäre. Das Herz aber war ihm bleischwer. Es war nur ein Traum gewesen. Ein törichter, dummer Traum, versuchte er sich einzureden, doch es gelang ihm nicht, die Gespenster der Nacht zu verjagen. Immer wieder holte ihn die Enge in seiner Brust ein. Es war nicht recht, dass er leiden musste. Der Meister war schuld. Er hatte die Strafe verdient, nicht Randal. Der Gedanke an das Geschehene trieb ihm Hitze und Schweiß auf die Stirn und den ganzen Körper. Niemals hätte er tun dürfen, was er getan hatte. Hätte er nur einen Augenblick lang ermessen, wozu es geführt hatte, so hätte er niemals …
Um sein Tagwerk erledigen zu können, musste Randal den Traum verdrängen. Vergessen konnte er ihn nicht. Den Traum nicht, das Geschehene nicht und auch den Meister nicht. Er trug den furchtbaren Augenblick immer mit sich herum. Die Angst, die Scham, die Trauer, die Wut – manchmal gelang es ihm, alles einzusperren, tief in seinem Herzen, in einem toten Winkel. Dann lebte er besser, konnte lachen, sich mit einer Frau vereinen, sich einbilden, dass nie etwas geschehen war, dass er nichts bereuen musste. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Wie ein Geschwür brach die Erinnerung hervor. Durch etwas, das er auf der Straße sah, durch einen Geruch, ein Geräusch oder ein Wort.
Randal kleidete sich an, versuchte die Erinnerungen wieder dort einzuschließen, wo sie sicher aufbewahrt waren, nicht vergessen, aber auch nicht als fortwährende Qual. Er fühlte sich tot. Erst wenn er sein Messer nahm und sich mit dessen Spitze die Haut ritzte, bis Blut floss, am Bein, damit es niemand sah, ging es ihm ein wenig besser. Voller Narben waren seine Oberschenkel bereits. Doch nur wenn er sich schnitt, fühlte er sich lebendig. Der Schmerz half, die Erinnerungen zurückzudrängen und einzuschließen, so lange, bis sie wieder aus ihm hervorbrachen und ihm Schweiß und Schamesröte ins Gesicht trieben.
Eines Tages würde der Meister einsehen, dass er ihm unrecht getan hatte. Eines Tages …
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken lasst es sein
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
London, Winter 1224/25
D as Christfest verbrachten Catlin, Nigel und Corvinus im Haus des Kaufmannes, wo man sie überaus herzlich willkommen geheißen, sich nach der Gesundheit von Nigels Vater erkundigt und sich über die großzügige Weihnachtszulage in Form je einer kleinen Silbermünze gefreut hatte, die Nigel in dessen Namen sämtlichen Mägden und Knechten ausgehändigt hatte. Weiteren Fragen war er damit ebenso aus dem Weg gegangen wie mit dem Brief, der angeblich von seinem Vater stammte und an den Verwalter seines Kontors gerichtet war. In diesem hieß es, man möge Nigel die
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