Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
er wusste, dass nur einer von ihnen der Meister sein konnte.
»Danke, Jean, ich weiß dein Anerbieten zu schätzen.« Alan lächelte seinen Bruder an. »Dennoch werde ich gehen, denn Vater hat recht. Ich will nicht mein Leben lang Geselle bleiben, ich will einmal Meister werden. Der Meister in dieser Werkstatt aber bist du und wirst es hoffentlich noch lange sein.« Er klopfte seinem Bruder auf die Schulter. Jean war ein redlicher Mensch, und die Schmiede von Orford stand ihm zu. Seit drei Jahren war er verheiratet, seit zwei Jahren Vater eines Sohnes und auf dem besten Weg, bald erneut ein Kind in den Armen zu halten. Der Ältere übernahm die Führung der Werkstatt, so war es Brauch. Dem Jüngeren blieb nur, so lange als Geselle zu arbeiten, bis der Bruder starb, oder fortzugehen und sein Glück anderswo zu suchen. »Du weißt, Mutter, wie sehr Vater die Schmiede von Saint Edmundsbury liebte. Mach dir also keine Sorgen, es wird mir dort an nichts mangeln.« Das fremde Mädchen, das ihn zurückgewiesen hatte, ohne ihn zu kennen, kümmerte ihn nicht. Vielleicht, so dachte er, war sie ja in Wahrheit gar nicht schön, wie der Vater behauptet hatte, sondern dumm und hässlich, und sei es nur dem Wesen nach. Da konnte er sich doch glücklich schätzen, dass jener Kelch an ihm vorübergegangen war. In St. Edmundsbury würde er Neues lernen, Verantwortung übernehmen und – wenn ihm Fortuna hold war – irgendwann sein eigener Herr sein.
Sie begruben Raymond neben seinem Zwillingsbruder, der nur wenige Monate zuvor gestorben war und drei Töchter hinterlassen hatte, die nun am Grab ihres Onkels standen und bitterlich weinten. Die Lehrlinge und Gehilfen starrten betroffen in die Grube, walkten ihre Mützen in den Händen und wischten sich verstohlen die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Ich wusste, dass keiner den anderen lange überlebt.« Alans Mutter bekreuzigte sich. »Sie waren sich zu ähnlich und darum so nahe«, sagte sie tapfer. »Nun sind sie im Paradies erneut vereint und schauen auf uns herab.« Alan warf einen kurzen Blick nach oben, als könne er in den Wolken einen Blick auf das Antlitz seines Vaters erhaschen. Doch außer einem grauen Himmel war dort nichts zu sehen.
Jeder der Trauergäste warf eine Handvoll Erde in die Grube, dann ergriffen Jean und Alan ihre Spaten und schaufelten das Loch zu, in dem der Leichnam ihres Vaters lag.
Jean sah mit einem Schlag gealtert aus. Er war sich wohl bewusst, dass er als Meister der Schmiede von nun an allein die Verantwortung für die Werkstatt trug, für Haus und Hof, für seine Basen, seine Mutter, die Helfer und Lehrlinge.
Alan spürte, dass für ihn die Zeit zum Abschiednehmen gekommen war. Zurück in der Schmiede, schnürte er sein Bündel, legte den Werkzeuggürtel um, an dem sein Hammer, das Messer und die Feile hingen, die ihm der Vater einst geschenkt hatte, und legte den Mantel um die Schultern. Er umarmte seine Basen, klopfte dem Bruder auf die Schulter, küsste und tröstete seine Mutter, deren Tränen nicht versiegen wollten, und machte sich auf den Weg.
Er erinnerte sich kaum noch an Henry und St. Edmundsbury, schließlich mochten bald elf Jahre vergangen sein, seit er zum letzten Mal dort gewesen war. Dennoch fürchtete er sich nicht vor seinem ungewissen Schicksal. Der Vater hatte so viel von der Schmiede erzählt, so sehr von seinem Freund und seiner besonnen Art geschwärmt, dass Alan fest daran glaubte, das Richtige zu tun.
Mit züchtigen, verschämten Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn
Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke
London, Juli 1228
I n diesem Sommer war die Hitze in der Stadt unerträglich. Es hatte so wenig geregnet, dass das Wasser in den Brunnen fast versiegte und die Straßen trocken und staubig waren.
»Eine Glocke, damit es regnet!« Catlin schüttelte ungläubig den Kopf. »Dass eine Glocke vor Sturm, Hagel oder Feuer warnt, gut, vielleicht auch vor übermäßigem Regen. Aber um solchen herbeizurufen? Das grenzt an Ketzerei!«
»Sei doch still!« John sah sich besorgt um. »Der Lord Mayor weiß sich keinen Rat mehr. Alle wollen, dass er etwas unternimmt, doch was lässt sich gegen eine solche Dürre schon ausrichten?«
»Wie wär’s mit Beten?«, schlug Catlin schnippisch vor. Seit mehr als drei Jahren war sie nun mit John verheiratet. Sie schätzte ihn für sein unglaubliches Wissen, seine Kunstfertigkeit und sein gutmütiges Wesen, dennoch war sie in letzter Zeit oft gereizt. Die Hitze war ihrer Laune
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