Das Tor zur Ewigkeit: Historischer Roman (German Edition)
Hände auf die Schultern. Der Junge war gewachsen, seit Catlin und Nigel ihn auf der Straße aufgegriffen hatten. Er aß für drei, betete nur noch vor den Mahlzeiten und dem Schlafengehen und war ein rechter Lausbub geworden, der so oft wie möglich mit den Jungen seines Alters auf der Straße herumtollte. Sein Kittel war schon wieder ein Stück zu kurz, sein Gesicht verschmiert und sein Haar staubig vom Lehm. »Auch mein Weib arbeitet mit uns. Sie hat ein untrügliches Ohr«, fuhr John fort.
Flint nickte, doch er wirkte nicht überzeugt.
Solange er mir keine Befehle erteilt und mich nicht zur Handlangerin machen will, soll es mir einerlei sein, dachte Catlin abschätzig.
John schien ihre Gedanken zu lesen, denn er lachte plötzlich auf. »Eines rate ich dir: Was auch immer geschieht, vergiss nie, dass sie die Herrin im Haus ist! Willst du drei ordentliche Mahlzeiten am Tag haben, so empfehle ich dir, sie artig Meisterin zu nennen und dich gut mit ihr zu stellen.« Er zwinkerte dem neuen Gesellen zu.
»Seid unbesorgt, Meister, daran werde ich mich gewiss halten.« Er warf Catlin einen Blick zu, der sie in der Magengrube traf, dann folgte er John, der schon hinausgestürmt war, um sich seiner Arbeit zu widmen.
»Ich mag ihn nicht«, sagte Corvinus, als die beiden in der Werkstatt verschwunden waren, und half Catlin beim Ausräumen des Korbes. »Er sieht dich so merkwürdig an.« Corvinus schüttelte ärgerlich den Kopf.
»Ach was, Unsinn, das bildest du dir ein!«, widersprach Catlin eine Spur zu heftig. »Das bildest du dir ein«, wiederholte sie murmelnd mehr zu sich selbst als zu Corvinus.
Vom ersten Tag an machte Flint sich in der Werkstatt unentbehrlich. Da die körperlichen Kräfte des Meisters nach einem qualvollen Husten im vergangenen Frühjahr noch immer nicht gänzlich zurückgekehrt waren, nahm ihm der Geselle ohne Murren die schwersten Arbeiten ab. Er zollte ihm stets Hochachtung, belästigte ihn nicht mit unnützen Fragen und gewährte ihm die nötige Muße, damit John sich ganz der Glockenrippe widmen konnte. Auf Catlin hatte Flint genau die gegenteilige Wirkung. Wenn er in der Nähe war, vermochte sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf die Arbeit zu richten und ließ sich immer wieder ablenken. Flints Blicke waren so durchdringend, dass sie ihr förmlich den Rücken durchbohrten, wenn sie sich umgewandt hatte, und drohten ihren Magen in Flammen zu versetzen.
»Ich verstehe wahrhaftig nicht, was dich an ihm stört«, entrüstete sich der Glockengießer, als Catlin erneut von dem Gesellen anfing und kein gutes Haar an ihm ließ. »Er ist jung und stark. Außerdem scheint er genau zu wissen, was er will.« John entledigte sich seiner Beinlinge und stieg zu ihr ins Bett.
Das ist es ja, was mich beunruhigt, wollte Catlin schon sagen, doch sie schwieg. Die sommerliche Hitze schien noch unerträglicher, sobald sie an Flint dachte. Ich bin es, die er will, hätte sie John am liebsten voller Entrüstung an den Kopf geschleudert. Dass er es nicht sah, bedeutete nicht, dass es nicht so war. Doch wie, in aller Welt, sollte sie ihm verständlich machen, wie sehr sie den Blick aus den meerblauen Augen des jungen Mannes fürchtete, ohne dass John glaubte, sie werfe sich Flint an den Hals? Wie ihrem Gatten gestehen, dass sie um ein Haar in Ohnmacht fiel, sobald der Geselle auch nur ihren Arm streifte? Wie sollte John glauben, dass sie es nicht darauf abgesehen hatte, Flint näherzukommen als nötig?
»Ich bitte dich, such dir einen anderen Gesellen! Ich traue ihm nicht.« Catlin vermied es, ihren Gemahl bei dieser Forderung anzusehen. Lügnerin!, hallte es in ihr wider. Du traust dir selbst nicht. Du fürchtest dich vor diesem flauen Gefühl im Magen, wenn Flint dich ansieht.
»Wenn ich zurück bin«, murmelte John, »und du glaubst noch immer, dass er nicht taugt, suche ich mir einen anderen Gesellen.« Er küsste sie auf den Scheitel und drehte sich um.
»Warum willst du nur schon wieder fort?«, murrte Catlin, wohl wissend, dass jeder Einwand zwecklos war. Warum spürte John nicht, wie gefährlich es war, sie mit Flint allein zu lassen? Doch anstatt sich Sorgen um ihre Tugend zu machen, schlief ihr Gemahl schon bald den Schlaf des Gerechten. Catlin dagegen lag noch lange wach. Sogar das dünne Laken, das ihren Leib bedeckte, war ihr noch zu viel in der brütenden Hitze, die selbst in der Nacht nicht nachließ. Aufgeheizt wie ein Ofen waren die Straßen und Häuser der Stadt, und kein Lufthauch, nicht einmal
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