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Das Totenschiff

Das Totenschiff

Titel: Das Totenschiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B. Traven
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nur hätte. Hab mich doch auf meinen eleganten Paß verlassen. War doch wie eine Festung, so gut und so sicher. Kerngesund. Echt bis auf die Pupille. Besser als zehn Eide. Konnte von der ganzen Erde aus angeklingelt werden in Hamburg, ohne Murren. Bloß die Nummer gewinkt. Schon war die Antwort da: Paß ist klar wie ein Diamant. Aber er war doch bloß Gipsfront. Hatte bloß ein schönes Gesicht und nichts dahinter.«
    »Warum hast du es denn nicht noch woanders damit versucht?«
    »Habe ich doch, Pippip. Denkst du denn, ich lass’ so einen eleganten Schwenker gehen, ohne ihn ein halbes dutzendmal anzuziehen und zu sehen, ob er nicht doch noch paßt! Ich hatte doch auch einen Schweden. Da sind wir gar nicht erst bis zum Konsul gekommen. Der Skipper nahm ihn, guckte ’rein und sagte gleich: ›Nichts zu machen mit uns. Ich werde Sie nicht mehr los.‹«
    »Die Deutschen hätten dich doch aber genommen«, sagte ich nun.
    »Zuerst einmal zahlen die ja hundemäßig. Damals wenigstens. Was sie heute zahlen, weiß ich nicht. Ich hätte auch gern einen genommen. War mir ja egal. Aber wenn du da ankamst, gleich sprangen sie dir ins Gesicht: ,Nehmen keine Pollacken. Pollacken ’raus. Freßt oberschlesische Steinkohle. Könnt ja euren Pollackenrachen nicht voll kriegen.’ Und lauter solche Sachen. Das wäre dann die ganze Fahrt so gegangen. Auch wenn ich hätte mustern können. Die andern, die Mannschaften sind ja noch zehnmal schlimmer, noch zehnmal verhetzter. Hältst du gar nicht aus. Geht vom frühen Morgen bis zum Abend: ›Saupollack. Dreckpollack. Mistpollack. Wollt ihr nicht auch noch Berlin einsacken, ihr Pollackenschweine?‹ Hältst du nicht aus, Pippip. Gehst über die Reling. Dann schon lieber ›Yorikke‹. Da schmeißt keiner dem andern seine Nationalität vor, weil keiner mehr eine Nationalität hat, mit der er protzen kann.«
    So verging ein Monat nach dem andern. Ehe ich es mir versah, war ich vier Monate auf der »Yorikke«. Und ich hatte gedacht, ich könnte dort keine zwei Tage leben.

43.
     
    Lasset uns Menschen machen ein Bild, das uns gleich sei, und lasset uns ihnen die Fähigkeit geben, zu glauben und sich zu gewöhnen, damit sie uns nicht eines Tages absetzen. »Yorikke« war erträglich geworden. War eigentlich doch ein ganz feines Schifflein. Das Essen war gar nicht so schlecht, wie es schien. Es gab ja hin und wieder Nach-Sturm-Frühstück. Auch schon mal Kakao mit Rosinenstollen. Und zuweilen ein halbes Wasserglas Kognak oder ein volles Wasserglas Rum. Manchmal gab der Koch sogar ein halbes Kilo Zucker extra her, wenn man ihm schöne Nußkohle für die Galley aus den Bunkern klaubte.
    Der Dreck in den Quartieren war zu ertragen. Wir hatten ja keine Bürste und keinen Feger. Wir fegten mit einem Sacklumpen. Seife hatten wir ja auch keine. Und wenn wir uns ein Stück kauften für den persönlichen Gebrauch, werden wir es doch nicht aufbrauchen für Reinquartier. Wir waren doch nicht verrückt.
    Die Bunk war auch gar nicht so hart, wie sie erst erschien. Ich hatte mir aus Putzwolle ein Kissen zurechtgemacht. Wanzen? Gibt es auch anderswo. Nicht nur auf der »Yorikke«. Es war ganz gut zu ertragen. Es sah auch niemand mehr so dreckig aus und so zerlumpt wie in den ersten Tagen. Auch die Eßgeschirre waren nicht mehr so schmierig.
    Mit jedem Tag war alles ein klein wenig sauberer und besser und erträglicher geworden. Wenn Augen sehr lange dasselbe sehen, sehen sie es nicht mehr. Wenn müde Glieder jeden Tag auf demselben harten Holze ruhen, schlafen sie bald wie auf Daunen. Wenn die Zunge jeden Tag dasselbe schmeckt, weiß sie nicht, wie andres wohl schmecken mag. Wenn alles rundherum kleiner wird, sieht man nicht, wie man zusammenschrumpft, und wenn alles dreckig ist, was einen umgibt, sieht man nicht, wie dreckig man selbst ist.
    Die »Yorikke« war recht erträglich. Mit Stanislaw konnte man sich gut unterhalten. Er war ein kluger und intelligenter Junge, der viel gesehen und alles mit ganz klaren Augen gesehen hatte und der sich das Hirn nicht so leicht verkleistern ließ. Mit den Heizern konnte man auch sprechen. Wußten auch dies und jenes Neue zu erzählen. Die Deckarbeiter waren auch keine verblödeten Dummköpfe. Dummköpfe kamen nie zu den Toten und nur selten Durchschnittsmenschen. Denn die haben immer alles schön in Ordnung. Die können nie über die Mauer fallen, weil sie nie hochklettern, um zu sehen, wie es auf der andern Seite wohl aussehen mag. Die glauben, was man ihnen

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