Das Totenschiff
Wunder, na, gehe schon wieder ’rein in das weite Meer. Hoppla, Freiheit ist doch das Größte und Beste am Leben. Ja, Teufel noch mal, soll ich euch denn allen hier die Hand geben? Schon habe ich abermals einen in der Hand. Ich weiß genau, wenn ich dich jetzt hier behalte, beißt kein einziger mehr an, weil sie dann alle wissen, sie können sich auf mich nicht verlassen. Und mit dir allein kann ich nichts anfangen. Es würde sich gar nicht lohnen, ’rauszugehen und ein Feuer deinetwegen anzuzünden. Wie lange hat das liebe Leben an dir gebaut, um dich zu dieser unwichtigen Größe zu bringen? Sechs Jahre, vielleicht sieben. Nun soll ich dich in einer Sekunde mit einem Hieb töten und dein Leben beenden? Zieh ab, freue dich des blauen Meeres und deiner Gefährten. Da schwänzelt er lustig von dannen. Gelt, Bürschchen, du weißt, was Freiheit wert ist, freue dich ihrer, schätze sie und sei glücklich.
Das ist aber ein recht merkwürdiger Eimer, der da angeschwommen kommt… Sie macht gerade los und kommt nicht gut ab. Sie schleppt und schlittert und kratzt am Kai entlang. Offenbar will sie nicht ’raus, sie ist wasserscheu. Aber ganz gewiß, man kann sich drauf verlassen, es gibt auch wasserscheue Schiffe, yes, Sir. Das ist überhaupt der Fehler, der so oft gemacht wird, daß man den Schiffen die Persönlichkeit abstreitet. Die haben ihre Persönlichkeit, ihre Launen genausogut wie ein Mensch. Diese alte Tante hier hatte eine Persönlichkeit. Das sah ich auf den ersten Hieb. Mit der war nicht gut Salz lecken.
19.
Manches Schiff habe ich gefahren, das wissen die Götter. Und tausend Schiffe habe ich gesehen, das glaubt mir Thomas. Aber nie vorher habe ich ein Schiff gesehen, das diesem gleich gewesen wäre. Der ganze Rahmen, um damit gleich zu beginnen, war nicht nur ein guter Spaß, nein, der war eine Unmöglichkeit. Wenn man diesen Eimer ansah, zweifelte man, daß sie je auf dem Wasser schwimmen könnte. Viel eher schon glaubte man, daß sie ein gutes Transportmittel durch die Wüste Sahara sein müsse und mit Leichtigkeit die besten Kamele schlagen könnte. Ihre Form war weder modern noch mittelalterlich. Es wäre ein ganz vergebliches Bemühen gewesen, sie in irgendeine Periode der Schiffsbaukunst einzureihen. Am Bug trug sie den Namen »Yorikke«. Aber der Name war so dünn und so verwaschen, als ob sie sich schämte, so zu heißen. Achtern sollte der Seevorschrift gemäß ihr Heimatort zu lesen sein. Aber wo sie her war, das wollte sie niemand verraten, wahrscheinlich schämte sie sich auch ihres Wohnortes. Auch ihre Nationalität hielt sie streng geheim, offenbar war ihr Paß nicht ganz in Ordnung. Jedenfalls war die Nationalitätsflagge, die auf dem Flaggenstock am Stern auswehte, so bleich, daß sie für jede Farbe aufnahmefähig war. Außerdem war die Flagge ganz ausgefranst, als ob sie in allen Seeschlachten der letzten viertausend Jahre den kämpfenden Flotten vorangeweht hätte.
Welche Farbe ihr Kleid hatte, konnte ich nicht ergründen, obgleich das ja in mein Spezialfach schlug. Allem Anschein nach zu urteilen, war das Röckchen einmal, in einer fern zurückliegenden Zeit, schneeweiß gewesen, weiß wie die Unschuld eines neugeborenen Kindleins. Aber das muß sehr lange her sein, das muß gewesen sein in dem Jahr, als sich Abraham mit der Sarah verlobte in Ur in Chaldäa. Die Kanten der Reeling waren einmal grün gewesen. Auch das war lange, lange her. Seit jenen fernen Tagen hatte die »Yorikke« einige hundert neue Anstriche erlebt, wie es ja dem Laufe der Zeiten entsprach. Aber die Deckarbeiter hatten sich nie die Mühe gemacht, die alte Farbe abzuklopfen. Wahrscheinlich war ihnen das untersagt worden. Jedenfalls war der neue Anstrich immer wieder auf den alten gekommen, dadurch hatte die »Yorikke« nun einen Umfang erhalten, der sie doppelt so groß erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit war. Hätte man sich die Arbeit gemacht, die einzelnen Anstriche sorgfältig abzupellen, dann hätte man genau feststellen können, welche Art von Farbe jedes einzelne Jahrhundert verwandte.
Selbstverständlich, um nicht der Übertreibung angeschuldigt zu werden, hätte man die Farbe nicht nur an dem Außenkleid abpellen dürfen, wo die »Yorikke« verhältnismäßig noch am jüngsten war, weil man sie ab und zu in ein Verschönerungsinstitut geschickt hatte. Nein, man hätte die Farbe an allen Teilen des Schiffes, insbesondere also an den Inneneinrichtungen abziehen müssen, um zu erfahren, in
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