Das Totenschiff
zuweilen ganz lieblich zu erleben, wenn einer oder der andre durch irgendeinen Umstand entweder entlassen wurde oder achtern abgekantet war, dann mit uns an der Beach, am Ufer lag, mit uns dann zum Abkochen gehen mußte und dabei lernte, wie gut es tut, in der Weise von seinen eignen Klassengenossen behandelt zu werden.
Nicht alle waren so. Ich habe manchen Peseta freiwillig von Schiffsproleten bekommen, habe ganze Büchsen voll Corned beef oder Leberwurst oder Blutwurst bekommen, Büchsen voll Gemüse, ganze Kilo Kaffee von den Köchen, ganze Brote, Kuchen und Puddings. Einmal zwölf, sage und wiederhole zwölf gebratene Hühnchen, von denen ich zehn selber wegwerfen mußte, weil ich sie nicht essen und nicht verwahren konnte, denn ich hatte ja keinen Eisschrank in meiner Hosentasche. Alles, was man besitzt auf der Welt, hat man bei sich und hat man an sich.
Wenn man in spanischen, afrikanischen, ägyptischen, indischen, chinesischen, australischen und südamerikanischen Häfen an der Beach liegt, lernt man allerlei Menschen kennen und allerlei Methoden, mit deren Hilfe man sich am Leben erhält. Aber niemand läßt einen mit solcher Kaltblütigkeit verhungern wie in vielen Fällen der Arbeiter. Und der Arbeiter der eignen Nationalität ist der schlimmste aller Teufel. Während ich als Amerikaner von den amerikanischen Schiffen heruntergejagt wurde von der Mannschaft, habe ich als Deutscher auf französischen Schiffen wie ein Fürst gelebt. Die Mannschaft lud mich ausdrücklich ein, zu jedem Frühstück, zu jedem Mittagessen und zu jedem Abendessen auf dem Schiff zu erscheinen, solange es im Hafen, es war in Barcelona, läge. Und ich bekam das Beste, was nur ins Quartier kam, während mir auf deutschen Schiffen Mannschaften gleich auf der Falltreppe mit einem großen Schild entgegensprangen: »Zutritt verboten!« Die deutschen Schiffe sind die einzigen Schiffe, die ich kenne, die zuweilen ein großes Schild im Hafen aushängen mit der Inschrift »Zutritt verboten!« in deutscher Sprache und in der Sprache des Landes, in dessen Hafen sie liegen. Yes, Sir.
Als ich in Barcelona lag, wurde mir erzählt, in Marseille lägen viele amerikanischen Schiffe, die keine Mannschaft bekommen könnten, weil zu viele ausgerückt seien. Die Mannschaft eines Kohlendampfers nahm mich mit nach Marseille. Aber es war falscher Alarm. Es lag auch nicht ein einziges amerikanisches Schiff im Hafen, und auf den paar andern, die dort lagen, war auch nichts zu machen.
Ganz verzweifelt schlich ich durch die Gassen im Hafenviertel. Ich ging in eine Hafenkneipe, wo viele Seeleute verkehren, um zu sehen, ob ich nicht vielleicht einen Bekannten treffen möchte, der mir aushelfen könnte; denn ich hatte keinen Copper in meiner Tasche.
Als ich hineinkam und mich umsah nach einem Stuhl, näherte sich mir die Kellnerin, ein nettes junges Mädchen, und fragte, was ich trinken wolle. Ich sagte ihr, ich hätte kein Geld und wolle nur sehen, ob nicht ein Bekannter drin sei, von dem ich vielleicht etwas bekommen könne. Sie fragte mich, was ich sei. Ich sagte:
»Deutscher Seemann.«
Da sagte sie: »Setzen Sie sich, ich bringe Ihnen zu essen!« Ich erwiderte: »Ich habe aber doch kein Geld.«
»Das macht nichts«, sagte sie. »Sie werden gleich genug Geld haben.«
Ich verstand das nicht und wollte mich aus dem Staube machen, weil ich glaubte, es sei irgendeine Falle.
Nachdem ich gegessen und eine Flasche Wein vor mir stehen hatte, rief das Mädchen plötzlich ganz laut durch die Schenke:
»Meine Herren, hier ist ein armer deutscher Seemann, der kein Schiff hat. Möchten Sie ihm denn nicht etwas geben?«
Ich fühlte, daß ich totenbleich wurde, denn ich dachte jetzt, das sei die Falle und man wolle einen Spaß haben dadurch, daß man mir hier eine Abreibung geben würde, die nicht von schlechten Eltern sei. Aber nichts dieser Art geschah. Die Leute hörten nur alle auf zu reden und drehten sich nach mir um. Einer stand auf, kam mit seinem Glas und stieß mit mir an: »Auf Ihr Wohl, Deutscher!« Er sagte nicht einmal »Boche« dabei. Dann nahm das Mädchen einen Teller und ging rund, und als sie den Teller dann vor mir ausschüttete, zählte ich siebzehn Franken und einige sechzig Centimes. Nun konnte ich mein Essen und meinen Wein gut bezahlen, und als ich mit dem Kohler zwei Tage später wieder nach Barcelona fuhr, hatte ich sogar noch etwas übrig von den Franken.
Ich glaubte nicht daran, daß es irgendeine Feindschaft zwischen Völkern gäbe,
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