Das Totenschiff
zurechtkommt. Häufig endet dieses Gespräch, nachdem die üblichen Fluchkanonaden alle Munition verschossen haben, damit, daß der gerettete Deckarbeiter sich seinen Lohn geben läßt, den Sack vollpfropft, über die Planke geht und dem Schiff Großfeuer in den Kohlenbunkern wünscht, wenn es fünfzehnhundert Meilen »off the coast« ist. Einen verrückten Menschen erkennt man oft schon am Äußern, am Aussehen seines Gesichts, an der Zusammenstellung seiner Kleidung. Je verrückter er ist, um so auffallender wird sein Aussehen sein. Man konnte nicht gut sagen, daß die »Yorikke« einem vernünftigen Schiffe, einem geistig normalen Schiffe gleich oder auch nur ähnlich gesehen hätte. Das wäre eine Beleidigung für alle andern Schiffe der sieben Meere gewesen. Ihr Aussehen stimmte so vortrefflich mit ihrem Geist, mit ihrer Seele, mit ihrem Wesen und mit ihrem Betragen überein, daß man an der geistigen Gesundheit der »Yorikke« mit Recht zweifeln mußte. Es war ja nicht nur das äußere Kleid, nicht nur die Farbe. Alles, was man von dem Boote sehen konnte, stand in vollem, ungetrübtem Gleichklang mit der Haut und dem Gesicht. Die Lademasten standen wie dürre Äste fuchtelnd in der Luft. Wenn durch den Schornstein der Länge nach eine Kugel geschossen worden wäre, auch wenn es nur eine Revolverkugel gewesen wäre, sie wäre nie am andern Ende herausgekommen. Aber Rauch geht ja auch um Ecken, andernfalls hätte die »Yorikke« nie rauchen können. Aus dem Schornstein jedenfalls nicht. Wie die Brücke mit dem übrigen Schiff in Verbindung stand, konnte ich nicht herausfinden. Es sah so aus, daß, wenn das Schiff abfuhr, es nach einer Stunde wieder umkehren mußte, um die Kommandobrücke abzuholen, die im Hafen zurückgeblieben war; denn der Skipper hätte es von seinem Standort aus nicht bemerken können, daß das Schiff schon eine Stunde unterwegs war, und nur wenn der Steward auf die Brücke gegangen wäre, um dem Skipper zu sagen, daß sein Essen in der Messe sei, hätte man herausgefunden, daß die Brücke mit dem Skipper drauf nicht mitgekommen war, sondern irgendwo im letzten Hafen schwebte oder festgeklemmt war.
Als ich nun da auf der Mauer saß, so emsig mit Fischefangen beschäftigt, und ich sah die »Yorikke«, da lachte ich, da lachte ich so laut und so ungeheuerlich, daß die gute »Yorikke« einen Schreck bekam und um eine halbe Schiffslänge zurückglitt. Sie wollte nicht ’raus ins Wasser und wollte nicht. Sie kratzte und schrammte am Kai, daß es einen Hund jammern konnte und man Mitleid bekam mit dem beklagenswerten Tantchen, das da wieder hinausgetrieben werden sollte in die grausame Welt wilder Mächte und Elemente.
Aber niemand empfand Mitleid mit ihr.
Ich hörte das Knarren und Quietschen der Wintschen und das Hinundherlaufen und wußte, die werden jetzt das Tantchen gründlich vermöbeln und bös einheizen, und dann muß sie eben doch hopsen. Was kann schließlich ein alleinstehendes Mädchen gegen so viele rauhe Fäuste auf die Dauer machen? Sie kann kratzen und beißen, aber sie muß hervor hinter dem Zaun und muß mit zum Tanz gehen, ob ihr danach zumute ist oder nicht. Wenn so ein sprödes Dämchen erst einmal die Musik hört, dann ist sie die Tollste von allen. So war es sicher auch mit der »Yorikke«. Erst mal glücklich drin im Wasser, dann würde sie rennen wie ein junger Teufel, um nur schnell wieder in einem andern Hafen zu sein, wo sie sich ausruhen kann und von vergangenen Zeiten träumen, als man sie nicht so herumjagte wie in diesen hastigen Tagen. Sie ist doch schließlich keine Junge mehr und schon ein wenig schwer auf den Beinen. Wäre sie nicht so dick angezogen, würde sie sicher auch noch frieren in dem kalten Wasser, denn das Blut rennt nicht mehr so frisch durch die Adern wie damals, als sie den Begrüßungsfestlichkeiten zusah, die von Cleopatra zu Ehren Antonius’ veranstaltet wurden.
20.
Nach dem Aussehen eines Schiffes kann man genau die Beköstigung und die Behandlung der Mannschaft beurteilen, sobald man erst einmal eine Weile Salzwasser gerochen hat. Da bildet sich manch einer ernsthaft ein, daß er vom Meere, von Schiffen und Seeleuten etwas verstünde, wenn er ein dutzendmal auf einem Passagierschiff, vielleicht sogar Staatskabine, über Ozeane gefahren ist. Aber ein Fahrgast lernt weder etwas vom Meer noch etwas von einem Schiff und noch viel weniger etwas vom Leben der Mannschaft. Die Stewards sind keine Mannschaft, und die Offiziere sind auch
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