Das Totenschiff
verstand. Er trank gern, aber nur gute Tropfen; er aß gern, aber nur gute Dinge; er stahl, wo er nur stehlen konnte; er machte Nebengeschäfte, mit wem er nur konnte und auf wessen Kosten er nur konnte. Im übrigen war ihm alles sehr gleichgültig, und er belästigte die Mannschaft persönlich nur wenig. Er belästigte sie auf dem Umwege über die Offiziere und die Ingenieure. Die Ingenieure hätten auf Schiffen, die nicht verrückt waren, sondern normal, nicht einmal als Öler arbeiten können.
Wie war es nur möglich, daß »Yorikke« eine Mannschaft bekam und eine Mannschaft halten konnte? Wie war es möglich, daß sie aus einem spanischen Hafen, aus diesem gesegneten Lande des Sonnenscheins und der Freiheit, ausfahren konnte mit voller Mannschaft? Da war ein Geheimnis verborgen. Sie war doch nicht etwa gar ein –?
Aber vielleicht doch. Vielleicht war sie doch ein Totenschiff. Da! Da ist es endlich heraus. Ein Totenschiff. Verflucht noch mal, o Sperlingsschwänze und Fischflossen! Jawohl, sie ist ein Totenschiff.
Aber daß ich das nicht gleich auf den ersten Hieb gemerkt habe. Ich habe eben gedöst.
Richtig, da ist kein Zweifel mehr.
Aber da war wieder etwas andres herum, daß sie es auch nicht sein mochte. Da ist ein Geheimnis dahinter. Mich soll doch gleich ein Eisbär am Hintern kratzen, wenn ich das nicht ’rauskriege, was mit dem Eimer los ist.
Sie hatte sich nun doch endlich entschlossen zu gehen, freiwillig und gutwillig zu gehen. Ich hatte sie unterschätzt. Sie war wasserscheu aus guten Gründen. Der Skipper war ein Esel, yes, Sir.
»Yorikke« war viel klüger als ihr Kapitän. Sie brauchte überhaupt keinen Kapitän, das sah ich jetzt. Sie war wie ein gutes altes Rassepferd, das man allein gehen lassen muß, wenn es den richtigen Weg gehen soll. Ein Kapitän braucht nur ein unterstempeltes und unterschriebenes Zeugnis vorzulegen, daß er ein Examen bestanden hat, und gleich wird ihm ein Eimer anvertraut und noch dazu ein so delikater, wie die »Yorikke« einer ist. Gebt einem erfahrenen Deckarbeiter den Lohn, den der Skipper bekommt, und er wird einen Eimer wie die »Yorikke« besser über den Froschteich bringen als ein konzessionierter Kapitän, der nichts weiter tut, als den ganzen Tag herumzulaufen und darüber nachzudenken, wie und wo er die Kost für die Mannschaft noch etwas mehr beschneiden könnte, um für die Kompanie und für seine Tasche noch einen Nickel mehr herauszuschinden.
Strömung und Wind waren gegen »Yorikke« auf dem Wege, den zu gehen der Skipper sie zu zwingen suchte. Ein so delikates Weibchen darf man nicht zwingen, wie und wohin sie gehen soll, dabei kann sie nur auf Abwege geraten. Der Lotse war nicht zu tadeln. Der Lotse kennt seinen Hafen gut, aber er kennt nicht das Schiff. Dieser Skipper aber kannte das Schiff noch viel weniger.
Sie kroch quietschend an dem Kai entlang, und ich mußte jetzt die Beine hochziehen, sonst hätte sie die mitgenommen. Und so sehr versessen darauf, meine Beine nach Marokko zu schicken, während ich in Barcelona blieb, war ich denn doch nicht.
Achtern strampelte sie mit der Quirlflosse, und hier an den Seiten spuckte und pißte sie wie besessen, als ob sie wer weiß wieviel gesoffen hätte und als ob sie es wer weiß wie schwer hätte, auf den Weg zu kommen, ohne die Laternenpfähle mitzunehmen.
Endlich glückte es dem Skipper, vom Kai klarzukommen. Aber ich war überzeugt, daß es »Yorikke« war, die einsah, daß sie sich nun um sich selber zu bekümmern habe, wenn sie mit heiler Haut davonkommen wollte. Vielleicht auch wollte sie ihrem Eigentümer ein paar Eimer Farbe sparen.
Je näher sie kam, desto unerträglicher wurde ihr Aussehen. Und es kam mir der Gedanke, wenn jetzt der Henker hinter mir her wäre mit der offnen Schlinge, und ich könnte ihm entwischen allein nur dadurch, daß ich auf der »Yorikke« anmustere, ich würde die Schlinge vorziehen und zu dem Henker sagen: »Lieber Freund, nehmen Sie mich und machen Sie ja recht rasch, damit ich vor dieser Nagelkiste bewahrt bleibe.« Denn jetzt sah ich etwas, das schlimmer war als alles, was ich je in dieser Hinsicht erblickt habe.
21.
Auf dem Vordeck standen die Mannschaften, die auf Freiwache waren, und guckten über die Reling hinunter auf den Kai, um ja noch mit ihren Augen alles an fester Erde auf die lange Fahrt mitzunehmen, was sie in diesen letzten Momenten erhaschen konnten. Ich habe verlumpte, abgerissene, verkommene, verdreckte, verlauste und
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