Das Trauma
darin festzubeißen. Manchmal ist Aina bissig, es gibt keinen Grund, sich darüber aufzuregen.
»Er sagt, sie haben alle aus der Praxis und alle aus der Selbsthilfegruppe vernommen. Es gibt noch immer keine Verdächtigen für den Mord an Susanne oder Tildes Entführung. Und Henrik ist auf freiem Fuß. Sie sind nicht einmal sicher, auf welche Weise oder ob überhaupt der Mord an Hillevi etwas mit dem Mord an Susanne zu tun hat.«
»Sonst noch was?«, fragt Aina.
»Ja, Markus hat gestern erwähnt, dass Henrik offenbar dasselbe Fitness-Studio benutzt wie der Typ, der Malin vergewaltigt hat.«
»Ach. Und was bedeutet das?«
»Vermutlich gar nichts. In Gustavsberg gibt es ja nicht sehr viele Fitness-Studios, also ist es wohl ein Zufall. Aber gerade dieses Studio ist ihnen nicht unbekannt. Da gibt es offenbar viele Drogen.«
»Und?«
»Ich weiß nicht. Es könnte vielleicht bedeuten, dass auch Henrik Zugang zu Drogen hat, und das wiederum könnte sein Verhalten erklären, seine Aggressivität. Und du, was meinst du?«
»Ich weiß nicht«, beginnt Aina zögernd. »Aber ich habe darüber nachgedacht, was Sirkka erzählt hat. Das will mir nicht aus dem Kopf.«
»Sirkka?«
»Ja, sie hat im Grunde zugegeben, dass sie ihren Mann umgebracht hat. Und dass sie deshalb absolut kein schlechtes Gewissen hat.«
Aina streicht feuchte blonde Haarsträhnen aus Gesicht und Mund und wendet sich dem Wind zu, so dass ihre Haare nach hinten geweht werden.
»Ich habe da gar nicht weiter drüber nachgedacht. Sie hat doch nur keine Hilfe geholt. Und dann ist er gestorben.«
Aina grinst.
»Nein, jetzt bist du naiv, Liebste. Sie hat genau gewusst, was sie da tut. Sie hat ihn umgebracht, aber sie fühlt sich durchaus nicht schuldig. Macht dir das nicht zu schaffen?«
Ich zucke mit den Schultern, weiß nicht, was ich antworten soll.
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich überlege nur. Wenn man so etwas einmal getan hat … bedeutet das dann, dass man es wieder tun könnte?«
Wieder bleibe ich ihr die Antwort schuldig. Aina schaut zum Land hinüber, scheint mein kleines Haus zu mustern, das sich dort zwischen Felswänden und Tannen zusammenkauert.
»Gehen wir rein?«, fragt sie, und ich nicke.
Langsam gehen wir über den schmalen Weg zurück zum Haus. In meiner Hand halte ich die riesige Taschenlampe und leuchte unseren Weg an, damit wir nicht über Wurzeln stolpern oder in einer der vielen kleinen, mit feuchtem Laub gefüllten Senken ausrutschen.
Im Wohnzimmer ist es warm. Das Feuer im Kamin knistert, und ein leichter, aber unverkennbarer Geruch von Holzfeuer durchdringt die Luft.
»Möchtest du einen Tee?«, frage ich.
»Ich möchte Wein«, sagt sie, ohne mich anzusehen, und lässt sich aufs Sofa sinken, zieht die Beine hoch und schlingt die Arme um die Knie. Ich gehe in die Küche, um meine Vorräte zu überprüfen. Vor nicht allzu langer Zeit wäre es niemals vorgekommen, dass ich keinen Wein im Haus gehabt hätte, aber zu meiner Überraschung muss ich feststellen, dass wirklich keiner da ist. Dass der Schrank, in dem ich meine Flaschen und Kartons aufbewahrt habe, leer ist.
»Du«, rufe ich aus der Küche. »Ich hab keinen Wein.«
»Hast du Schnaps?«
»Schnaps? Ist das dein Ernst?«
»Mir war in meinem Leben noch nichts so ernst.«
Ich schüttele von der Tür her über sie den Kopf und kehre in die Küche zurück, um zu suchen. Schnaps war noch nie mein Ding, aber vielleicht hat Markus ein paar Flaschen mitgebracht? Unter dem Spülbecken finde ich eine halbe Flasche Gin.
»Ich habe Gin. Was willst du dazu? Tonic hab ich nicht.«
»Nichts.«
Aina ist offenbar aus dem Gleichgewicht geraten, denke ich, während ich zugleich ein Trinkglas zur Hälfte mit der klaren Flüssigkeit fülle. Der Schnapsdunst dreht mir den Magen um, und plötzlich stellt sich das vertraute Würgegefühl ein. Ich stütze mich auf den Spülstein und wende das Gesicht ab, um dem Geruch zu entkommen.
Aina flüstert ein »Danke« und leert das halbe Glas auf einen Zug.
»Carl-Johan ist verheiratet«, sagt sie plötzlich. Fällt mir mitten in einem Satz ins Wort. Und endlich erwidert sie meinen Blick. Jetzt begreife ich, warum sie gekommen ist, warum sie so mürrisch war, warum sie den lauwarmen Schnaps im Kunststoffglas braucht.
Sie lächelt verzerrt.
»Verheiratet, kapierst du? Das war wirklich das Letzte, was ich von ihm erwartet hätte. Ich habe mich so darauf konzentriert, zu überlegen, ob ich mich wirklich gefühlsmäßig an einen einzigen
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