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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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gerade einfiel und seine Amtshandlung gar zu sehr vorgetäuscht war.
    Er blickte mir entzückt ins Gesicht. »Noch einmal.«
    »Jarmila«, wiederholte ich.
    »Ist das Germaine?«
    »Nein, das ist nicht Germaine.«
    »Kann man ihn nicht irgendwie ins Französische übersetzen, diesen Namen?«
    »Kaum. Oder vielleicht doch. Jarmila heißt wörtlich Chérie du Printemps.«
    »Chérie du . . .? Das ist aber toll! Ist das auch wahr?«
    »Gewiß.«
    »Eine schöne Sprache, wenn die Mädchen so heißen«, bemerkte er anerkennend und kehrte würdigen Schrittes um. In der Tür blieb er stehen, wandte sich nochmalsin den Raum und rief streng: »Sie dort, die Ausländerin Chérie, vergessen Sie nicht: Sonntag, pünktlich um drei Uhr, sonst ärgert sich Monsieur le Commissaire!«
    Der neue Tag hinter den Fenstern der Polizeipräfektur wurde heller und heller. Ich ließ mich vom Tisch hinabgleiten. Heute war Sonntag, vielleicht wird man mich gerade heute entlassen.
    Auf der Straße hupte ein Auto, jemand pfiff, irgendwo schlug eine Uhr.
    Der Frühvogel sang noch immer.

Der graue Wölfling
    Er ist grau und klein, sehr klein sogar, und überhaupt nicht zu fassen. Dennoch kann es passieren, daß er eine ganze Straße ausfüllt oder gleichzeitig in allen Winkeln des Zimmers hockt. Meistens nur, wenn es dämmert. Das ist die Stunde des Zögerns, der unausgesprochenen Angst, die Stunde, da sich die Dinge am leichtesten gegen den Menschen verschwören. Die sonst so freundliche Pflanze im Blumentopf streckt drohend ihre Fangarme aus. Der Lehnstuhl ist mit einemmal ein Segelschiff ohne Segel, steuerlos, von bösen Geistern gelenkt. Der Schrank wird zur Felswand, die unaufhaltsam näher rückt und uns im nächsten Augenblick erdrücken wird. Plötzlich zieht einen das Fenster an, gähnend aufgerissen vor verschwommenem Abgrund.
    Ist man zu jener Stunde unterwegs, kann es geschehen, daß sich die Straße vor unseren Augen in einen bodenlosen Schlund verwandelt. Die Häuser wanken, die Erde schwankt, und das Nichts nimmt Besitz vom Menschen.
    Überall hockt in solchen Stunden der graue Wölfling auf der Lauer, in jeder Nische, auf jedem Dach. Hockt auf samtenen Pfoten, das weiche Fell glänzt, die Zähne sind verborgen. Unendliche Trauer befällt einen, uneindämmbar, Sehnsucht nach allem und Müdigkeit von allem, Angst ohne Grund und Grund für jede Angst.
    Ungreifbar, mehr geahnt als erkannt, schleppt derkleine Wölfling die Einsamkeit an uns heran, Verlassenheit und den leeren Hauch der Verzweiflung. Aber wehe, man schließt die Augen vor diesem Tier ohne Umriß! Man muß es zu erkennen suchen, muß es herausschälen aus der Konturlosigkeit, denn nur so wird es seinen lähmenden Blick wieder abwenden und zurückweichen in das Nichts, aus dem es gekommen ist.
    Es gibt Tage, da er sich am Morgen heranschleicht, der graue Wölfling. Das sind die Tage, die nichts Gutes verheißen, weil bei ihrem Anbruch ein Tropfen Blei im Herzen liegt. Was war es doch, das gestern geschah? Was ist es, das heute geschieht? Warum fällt einem das Atmen so schwer, und warum sind die Gedanken so flatterhaft unruhig?
    Da gibt es nur eines: Aufstehen, die erste Bewegung tun, den Vorhang hochziehen und das Licht hereinströmen lassen ins bis dahin verdunkelte Zimmer und auch die Wirrnis im Kopf, damit die Gedanken auseinanderstieben können gleich Funken neu entfachten Feuers, damit sie gleich Lichtstrahlen bis in die verborgensten Winkel so mancher erlittenen, aber auch mancher überstandenen Angst eindringen können. Die Erfahrung eigener Stärke ist tröstlich, überwundene Trauer und Angst können wirksam sein gegen neue.
    Kein Mensch in jener Stadt wußte, wie ich in Wirklichkeit hieß. Wen kümmerte es auch? Wer nannte mich je bei meinem Namen, wer brauchte ihn zu wissen, wo ich ihn doch selbst beinahe vergessen hatte? Mein richtiger Name – gab es ihn denn überhaupt noch?
    Stundenlang pflegte ich unbekannt und unbemerkt, so hoffte ich wenigstens, durch die Straßen der weißen Stadt zu schlendern. Jeden Tag und gern. Ich wurde nicht müde, all die ungewöhnlichen Dinge ringsum zu betrachten,die Menschen und ihr fremdartiges Gebaren. Wie oft im Leben wird schon ein Mädchen aus Prag unverhofft nach Afrika verschlagen! Ich war mir meines persönlichen »Ausnahmezustands« bewußt und handelte danach.
    Zudem war Krieg. Alles, was früher möglich gewesen, war nun unmöglich, und was einmal unmöglich schien, geschah. Zu Hause leben, mit den Menschen, zu

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