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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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nicht einfach, sie rankten sich fest. Am Morgen, am Mittag . . .
    Wenn jedoch die perlmutterfarbene Glut des Tages allmählich den violetten und blauen Farbschattierungen des abendlichen Himmels zu weichen begann, wenn das geschäftige Rasseln, Kreischen und Schreien in derNähe des Hafens überging in die ruhigeren Töne des Nachmittags, das Rauschen des Meeres am unteren Ende der Stadt deutlicher wahrnehmbar wurde, der erste erlösende Luftzug durch die von weißem Staub überpuderten Palmenfächer strich, in der Mellah das Murmeln der Abendgebete und in der Medina die merkwürdigen Rufe der Muezzins erklangen – da wußte ich, nun würde er wiederkommen, der graue Wölfling mit den leeren Augen, würde lautlos hinter mir einhertrotten, nirgends und überall zugleich. Ein Tropfen Blei im Herzen und Steinbrocken an den Füßen. Der graue Wölfling mit dem lauernden Blick, der an mir haftenblieb wie Spinnweben in einem leerstehenden Haus. Wenn du jetzt umfällst und liegenbleibst im Staub dieser fremden Straße, wird dich niemand vermissen in dieser Stadt.
    Wo blieb in solcher Stunde der feste Wille, die Phantasie und das bißchen Humor? Reiß dich zusammen, redete ich mir mit dem Rest meiner Kraft am gefährlichen Rand der Verzweiflung selbst zu, weil es sonst niemanden gab, der es getan hätte. Fürchte ihn nicht, den grauen Wölfling, der nur in der Umrißlosigkeit des Dämmerlichts lebt.
    Pirsch dich nicht an mich heran, Wölfling, sagte ich manchmal sogar ganz laut, weil es sonst niemanden gab, der mir Mut zusprechen konnte, du siehst doch, ich fürchte mich nicht.
    Um mir ein wenig zu helfen und das Sichnichtfürchten zu erleichtern, ging ich gegen Abend, ja, auch das an fast jedem Abend, in ein kleines maurisches Café, in die so überraschende Oase im viereckigen Hof eines modernen Hochhauses am Ende der breiten, zum Hafen von Casablanca führenden Avenue des Quatre Zouaves. Hier, zwischen den hohen Häuserwänden, fühlte ichmich halbwegs in Sicherheit, hier an den Tischchen mit den niedrigen Schemeln und den winzigen Schälchen mit dem süßen, aromatischen Kaffee Arabiens oder Gläsern mit wunderbar erfrischendem Mentholtee. Oft steckte ein Zweiglein in dem heißen Getränk, dessen weiße Blüte auf dem Rand des Glases lag und herben Pfefferminzduft ausstrahlte. Still war es hier, ein paar Palmen in der Mitte des Hofes verströmten kühlende Luft, und wenn in späterer Stunde der Mond über die Hausmauer glitt, war sein Licht so scharf und weiß, daß man an den kleinen Tischchen lesen konnte.
    Ich las jedoch nicht. Die ein, zwei ruhigen Stunden auf dieser kleinen Insel inmitten des hektischen Gewoges der fiebrigen Stadt, in der es von gewesenen und künftigen Häftlingen wimmelte, diese Atempause, für die ich täglich ein paar Centimes vom ohnedies hungrigen Munde absparte, waren viel zu kostbar. Das maurische Café war der einzige Ort, wo ich mit ebenso jungen Menschen zusammenkam, wie ich es war, wo ich Späße hörte wie einst in früheren Zeiten, mitunter sogar auch ein schmeichelndes Wort, häufiger allerdings eigenartige, wilde Dinge und ebenso ungestüme Pläne.
    »Die Berber oben im Atlas sammeln Waffen . . .« – »Bis der Sohn des Sultans großjährig erklärt wird . . .« – »Kurz nach Mitternacht, wenn der Schatten des Minaretts an der Rückwand der Moschee liegt . . .« – »Im Koran steht geschrieben . . .« – »Aber bei Marx habe ich gelesen . . .« – »Zwei Mädchen im verbotenen Viertel werden mit ihm sprechen . . .« – »Ich bin Prophet, aber profan . . .« – »Nur keine Angst vor der Gestapo, unsere Verstecke findet sie nie . . .«
    Eigentlich hatte ich keine sehr große Angst, schon gar nicht, wenn ich mit diesen Studenten zusammen saß,von denen einer der Sohn eines wirklichen Kalifen und ein anderer ein aus Ungarn geflohener Jude war. Mit ihnen war ich einfach genauso wie sie: jung und tapfer und sogar ausgelassen. War ich allein, konnte ich nur tapfer sein, nichts anderes blieb mir übrig. Im Casablanca jener Wochen und Monate gab es Spitzel, die den verschiedensten Polizeien dienten. Gestapo in Zivil und Widerstandskämpfer in Uniform. Deutsche Offiziere und französische Offiziere. Antifaschisten aus ganz Europa und Antifaschisten aus Afrika und Amerika. Französische Résistance und marokkanische Résistance. Deutsche Spione und französische Spione, aber auch amerikanische, spanische, britische und italienische. Hilfskomitees, die helfen wollten, und andere, die

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