Das Traumtor Band II (German Edition)
der König von Valamin! Lasst mich zumindest in meinem Schmerz nur ein gewöhnlicher Mensch sein, der leiden darf, ohne auch noch das Leid anderer mittragen zu müssen! Ist es denn nicht genug, was ich ertragen muss? Verlangt man denn auch noch in meinem größten Schmerz von mir, dass ich dieses Gefühl unterdrücke, damit andere glücklich sind? Jedem Bettler gönnt man seine Liebe, jedem Bauern den Schmerz um einen Verlust. Und ich? Bin ich denn aus Stein, dass ich jedes Gefühl aus mir verbannen muss? Deina, verlangt nicht mehr von mir, als ich geben kann, wenn ihr nicht wollt, dass ich daran zerbreche. Vielleicht werde ich eines Tages nur noch der König von Valamin sein, doch jetzt bin ich auch noch Rowin. Und Rowin ist an den Grenzen seiner Kraft. Ich kann nicht mehr, verstehst du, Deina, ich bin am Ende!“
Er brach über dem Tisch zusammen und weinte. Der Panzer aus Härte und Beher rschung, der ihm von frühester Jugend anerzogen war, zerbrach unter dem gewaltigen seelischen Druck, dem er seit Wochen ausgesetzt gewesen war. Und Deina erkannte, dass seine selbstbewusste Überlegenheit und sein unbeugsamer Wille nur ein Schutzwall für seinen sensiblen und verwundbaren Kern waren. Dieser Schutzwall jedoch war nun niedergerissen. Sie sah, dass Rowin bis ins Mark getroffen war. Wenn sie bis heute geglaubt hatte, Rowin würde – wie die meisten Menschen – irgendwann vergessen und wieder neu beginnen können, so wurde ihr jetzt klar, dass diese Wunde niemals heilen würde. Rowin, wie er früher war, hatte mit Athamas Verschwinden aufgehört zu existieren, war tot! Deina befürchtete, dass an seiner Stelle ein Mann zurückbleiben würde, in dessen Herz vielleicht Gefühle wie Liebe, Freundschaft und Güte keinen Platz mehr haben würden. Sie erschrak, als ihr die Konsequenz bewusst wurde, die das für sie alle, ja, für ganz Valamin bedeuten konnte, wenn es nicht gelang, diese Entwicklung von Rowins Charakter aufzuhalten. Was konnte sie tun, um Rowins Herz vor der Verhärtung zu schützen? Welch ein Verlust, wenn dieses edle Herz zu Stein wurde!
„Rowin, hör mich an!“ flehte sie. „Ich weiß, dass du Athama stets in deinem Herzen tragen wirst, sowie auch sie dich wohl nie vergessen wird. Aber niemand weiß besser als du, wie viel ihr Liebe und Freundschaft bedeuteten. Kann es denn sein, dass sie, die Fremde, mehr für uns alle empfand als du, der du ein Teil dieses Volkes bist? Sie wollte, dass du weiterlebst, für dich, für deine Freunde, für dein Volk – und auch für sie, obwohl sie dich verlassen musste. Weißt du denn, ob sie nicht in ihren Träumen zu dir gelangen kann und sie nicht sieht, was mit dir geschieht? Sie hatte die Kraft, das Tor zu unserer Welt einmal sogar für ihren Körper zu öffnen. Wie kannst du wi ssen, ob ihr Geist nicht immer noch den Weg zu uns findet? Willst du denn, dass ihr Schmerz über die Trennung noch größer wird, wenn sie sieht, dass du dich selbst aufgibst? Weine um sie, Rowin, aber bleibe der Mann, den sie geliebt hat! Nur so wirst du, wenn auch nicht dein Glück, so doch eines Tages deinen Frieden finden.“
Mit einer liebevollen Geste strich sie ihm über das Haar. Wie oft hatte er sie so g etröstet. Nun war es an ihr, ihm zur Seite zu stehen, ihm zu helfen, seinen Kummer zu überwinden, so wie er ihr geholfen hatte, mit den Schrecken der Vergangenheit fertig zu werden, die sie hatte erleben müssen.
Während sie noch beruhigend Rowins Schultern streichelte, zuckte auf einmal einzi ehen der Schmerz durch ihren Körper. Sie stöhnte auf und presste ihre Hände auf den Leib. Oh, ihr Götter! Was war das? Das Kind sollte doch erst in zwei Wochen kommen. Bei Deinas Stöhnen war Rowin wie der Blitz hochgefahren. Erschrocken schaute er seine Schwester an. Auch er wusste ja, dass ihre Niederkunft eigentlich noch nicht bevorstand.
„Was ist mit dir, Deina?“ fragte er, in der Angst um die Schwester dem eigenen Kummer beiseite schiebend.
„Ich glaube, das Kind will kommen“, stöhnte Deina. „Mag sein, dass die Aufregung eine frühere Geburt ausgelöst hat. Bring mich rasch hinein, Rowin, und rufe Leston. Er weiß, was zu tun ist.“
Vorsichtig hob Rowin Deina auf die Arme, obwohl sie protestierte und selber gehen wollte.
„Verzeih mir, Deina!“ bat er, während er sie zu ihren Räumen trug. „Es ist meine Schuld, dass das jetzt geschieht. Nur weil du dich um mich sorgtest, hast du dich so aufgeregt, dass das Kind zu früh kommt. Wenn dir oder ihm nun
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