Das Traumtor Band II (German Edition)
zu dürfen. Er hatte Narins Wunsch verstanden, weiterhin am Hof bleiben zu können, und da er den jungen Mann schätzte, hatte er es gestattet. So sahen die beiden Verschwörer der Ankunft Ilins mit Ungeduld entgegen.
Und dann kam der Tag, an dem Ilin mit Gepränge und großem Gefolge in der Haup tstadt Varnhag einzog. Zwar waren die Straßen geschmückt, doch die Menschen, die sich am Weg drängten, jubelten dem Zug nicht zu. Ilin blickte in verschlossene, ja, feindselige Gesichter. Doch das ließ sie kalt. Was gingen sie die Leute von Varnhag an? Sie waren nur eben Untertanen wie auch das Volk von Muran, und auch diesen hatte sie nie Beachtung geschenkt. Trotzdem lag ein verstimmter Zug um ihren Mund, denn Rowin hatte sich geweigert, ihr bis zur Grenze entgegenzureiten, wie es Brauch und Sitte entsprochen hätte. Nun, sie würde ihm das schon zu vergelten wissen! Schließlich hatte er sich ja ihrem Willen beugen müssen, und sie würde dafür sorgen, dass das auch weiterhin geschah. Auf ihre selbstsüchtige Weise liebte sie Rowin noch immer, und ihr Herz machte einen kleinen Sprung, als sie ihn nun auf der großen Freitreppe des Schlosses stehen sah. Sie hatte ihn seit über vier Jahren nicht gesehen und sie stellte erstaunt fest, dass er noch besser aussah, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sein hoher Wuchs, seine kräftige Gestalt, der schöne, männliche Schnitt seines Gesichts – das alles erschien ihr noch begehrenswerter als damals, als er für einige Zeit am Hof ihres Vaters gelebt hatte. Erneut flammte ihr Verlangen nach ihm auf, und sie beglückwünschte sich im Stillen zu ihrer Wahl und der Hartnäckigkeit, mit der sie auf der Vermählung bestanden hatte, obwohl er anscheinend nichts mehr von ihr hatte wissen wollen. Aber immerhin hatte er ja seine Geliebte, diese fremde Fürstin, fortgeschickt. Sie schienen ihm also doch nicht so viel bedeutet zu haben, dass er ihretwegen einen Krieg mit Muran riskiert hätte. Von Ilins Sichtweise konnte es nur das bedeutet haben, denn sie selbst hätte ohne Skrupel den Krieg heraufbeschworen, um ihren Willen durchzusetzen. Daher glaubte sie, dass auch Rowin entsprechend gehandelt hätte. Also meinte sie, mit ihm leichtes Spiel zu haben. War er nicht schon einmal ihrer Schönheit und ihren Reizen erlegen? Sie würde ihn bald wieder soweit haben, dessen war sie sich gewiss. So lächelte sie ihm verführerisch entgegen, als er nun die Treppe hinunterschritt, um sie aus dem Sattel zu heben. Doch ihr Lächeln fand kein Echo bei Rowin. Sein Gesicht blieb kalt und abweisend, als er sie nun auf dem Boden absetzte.
„Ich grüße Euch, Prinzessin Ilin!“ sagte er ausdruckslos und verneigte sich leicht. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise.“
Die umstehenden muranischen Höflinge machten konsternierte Gesichter. War das eine angemessene Behandlung? Begrüßte man in Valamin so seine Braut? Ilin verzog verärgert das Gesicht. Wo blieben Rowins Manieren?
„Seid gegrüßt, König Rowin!“ antwortete sie und deutete einen Knicks an. „Ich e rwartete jedoch, dass ihr mich schon vor der Stadt willkommen heißen würdet. Oder ist das in Valamin nicht Sitte?“
„Wir haben die Sitten in letzter Zeit ein wenig verändert“, antwortete Rowin kühl. „Seit es Brauch wurde, dass die Frauen den Männern nachlaufen, ziehen die Männer der Braut nicht mehr entgegen. Und wie willkommen Ihr seid, werdet Ihr an dem herzlichen Empfang auf Varnhag Straßen ja gesehen haben.“
Er bot ihr den Arm, und sie legte mit kaum verhohlenem Zorn ihre Fingerspitzen darauf. Mit verkniffenem Lächeln schritt sie an Rowins Seite am Spalier der Hofleute die Treppe zum Palast hinauf. Sie kochte vor Wut. Diese Unverschämtheit würde sie ihm schon noch heimzahlen! Er geleitete sie zu den Gemächern, die er für sie hatte herrichten lassen und die in dem Flügel des Schlosses lagen, der durch den Haupttrakt von seinen eigenen Räumen getrennt war. Dort verabschiedete er sich von ihr mit den Worten:
„ Ich wünsche Euch einen angenehmen Nachmittag, Prinzessin. Wir werden uns erst am Abend wiedersehen, da ich noch dringende Angelegenheiten zu erledigen habe, die keinen Aufschub dulden. Ihr wisst ja, das morgige Fest! Mein Schwager Targil hat sich jedoch erboten, Euch das Schloss zu zeigen, damit ihr Euch zurechtfindet. Ich hoffe, Ihr werdet seine Gesellschaft als angenehm empfinden. Er ist ein sehr höflicher Mann und sagt nie, was er denkt. Ich verspreche Euch jedoch, dass ich heute Abend beim
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