Das Traumtor (German Edition)
der Leibgarde zu ersparen, doch Rowin hatte nicht nachgegeben.
„Nein, Athama!“ hatte er rundheraus erklärt. „Du weißt, daß ich dir gern jeden Wunsch erfülle, wenn es in meiner Macht liegt. Aber in diesem Fall will und kann ich es nicht tun. Meine Leibwachen sind eine Elitetruppe, die sich aus den besten Kämpfern Valamins zusammensetzt. Das aber ist nicht allein maßgebend. Diese Männer sind Vorbilder für das Volk, so wie ich selbst mich darum bemühe, dem gerecht zu werden. Es ist eine Ehre und ein Privileg, der Leibwache des Königs anzugehören. Darum suche ich diese Männer nicht nur nach ihrem Können, sondern auch nach ihrem Charakter aus. Es ist ein Unding, daß die Männer des Königs herumgehen, sich betrinken und dann die Bürger angreifen. Sie sollen ihren Spaß haben, das verbiete ich ihnen nicht. Doch wenn dabei jemand zu Schaden kommt, hört der Spaß auf. Die Männer wissen auch ganz genau, mit welchen Strafen sie zu rechnen haben, wenn sie die Regeln der Garde übertreten. Narin wußte, daß er keinen Wein verträgt und hätte das berücksichtigen müssen. Und da ich ihn bereits einmal wegen einer ähnlichen Sache verwarnt habe, muss er nun die Folgen tragen!“
Noch einmal hatte ich alle Register gezogen, ihn zur Milde zu bewegen. Da ich Narin wirklich gern mochte und er mir Leid tat, brach ich zum Schluß sogar in Tränen aus. Aber sogar das hatte Rowin nicht erweichen können, obwohl er mich nicht weinen sehen konnte.
„Bitte, Athama, wein doch nicht!“ hatte er gebeten und mich in seine Arme gezogen. „Aber versteh doch! Ich kann nicht anders handeln. Ich selbst habe die Gesetze für die Leibwache vorgeschrieben, und wenn ich jetzt nicht nach ihnen handele, habe ich bald einen wilden, ungezügelten Haufen statt einer disziplinierten und angesehenen Garde. Wie soll ich sie in Zucht halten, wenn sie genau wissen, daß sie im Ernstfall nur bei dir um Gnade zu flehen brauchen, und die Strafe wird ihnen erlassen? Athama, ich muss hart bleiben, auch wenn ich Narin nur ungern fortjage. Du weißt ja, daß auch ich diesen Mann schätze, sonst hätte ich ihn nicht zu deinem Schutz abgestellt.“
Ich sah ja ein, daß er wirklich keine andere Wahl hatte, wenn er sich nicht selbst in Frage stellen und die Moral seiner Truppe untergraben wollte. In kleineren Dingen hatte er mir schon öfter nachgegeben oder zumindest milder gehandelt. Aber hier war es nicht möglich. Schweren Herzens hatte ich Narin meinen Misserfolg mitgeteilt, wobei mir wiederum die Augen feucht wurden. Narin hatte das Knie gebeugt, meine Hand geküsst und gesagt:
„Ich danke Euch trotzdem, Herrin, daß Ihr für mich eingetreten seid. Es ist mir durchaus klar geworden, daß der König gar nicht anders handeln kann, als die Strafe an mir zu vollziehen. Daher werde ich sie ohne weitere Klage auf mich nehmen. Der Segen der Götter aber möge auf Euch ruhen für Eure Güte!“
Rowin konnte es mir nicht einmal ersparen, bei der Bestrafung Narins anwesend zu sein. Da der Mann in meine persönlichen Dienste abgestellt worden war, mußte ich als seine unmittelbare Herrin der Strafe beiwohnen, da Narin von edlem Geblüt war. Eine Verweigerung meiner Anwesenheit wäre für ihn eine weitere Herabsetzung gewesen. So trat ich eines Morgens mit wundem Herzen neben Rowin auf einen Balkon hinaus um zuzusehen, wie im Hof vor der versammelten Leibwache die Strafe vollzogen wurde. Flankiert von zweien seiner Kameraden trat Narin auf den Hof hinaus und vor den Hauptmann der Garde. Dieser trug dann Narins Vergehen vor und verkündete anschließend im Namen des Königs das Urteil. Das Schwert, das Narin bei seinem Eintritt in die Garde bekommen hatte, war ihm schon abgenommen worden. Nun trat der Hauptmann zu ihm und löste die Spange mit dem Wappen von Valamin und den Insignien seines Ranges von seinem Umgang an der Schulter. Mit versteinertem, bleichem Gesicht und ohne sich zu rühren ließ Narin diese demütigende Handlung über sich ergehen. Stoisch duldete er, daß man ihm nun Wams und Hemd auszog und ihn an einen Pfahl band, sodaß sich sein nackter Rücken dem Henker darbot, der die Auspeitschung vornehmen sollte. Als der erste Hieb fiel, hatte ich mich ab-wenden wollen, doch Rowin zischte mir zu:
„Willst du, daß Narin seine Ehre völlig verliert? Wenn du jetzt wegläufst oder dich abwendest, tust du ihm in den Augen der anderen die größte Schmach an, denn dann ist es so, als sei er in deinen Augen nicht einmal diese Strafe wert.
Weitere Kostenlose Bücher