Das Traumtor (German Edition)
Nachmittag. Rowin war schon wach, doch er hatte sich nicht gerührt, um mich nicht zu wecken. Er ahnte, daß ich die ganze Zeit bei ihm gewacht hatte, und wollte mir den dringend benötigten Schlaf nicht nehmen. Als ich nun etwas essen bereitete, kam er auf einmal aus dem Zelt.
„Geh sofort wieder in dein Bett, du Wahnsinniger!“ rief ich erschrocken. „Willst du, daß die Wunde wieder aufreißt?“
Doch er war stur wie ein Panzer. „Lass mich eine Weile hier draußen bleiben“, sagte er. „Ich fühle mich schon viel besser, und auch die Schmerzen haben etwas nachgelassen. In diesem winzigen Zelt kann ich es höchstens mit dir zusammen aushalten.“
Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war mit ihm nicht mehr zu diskutieren. So holte ich seufzend die Decken aus dem Zelt und breitete sie neben dem Feuer aus. Er legte sich darauf nieder, aber ich bestand darauf, daß er sich bis zum Hals zudeckte.
„Das fehlte mir noch“, schimpfte ich, als er protestierte, „daß du zu all dem auch noch eine Lungenentzündung bekommst!“
„Lungenentzündung?“ fragte er interessiert.
„Oh, Mann, mach mich nicht wahnsinnig!“ rief ich entnervt. „Was habe ich getan, ihr Götter, um mit so einem Menschen geschlagen zu werden? Rowin, erspare mir nähere Erklärungen! Ich meinen Fieber, das sich auf die Brust niederschlägt.“
„Verzeih, Athama!“ sagte er zerknirscht. „Erst mache ich dir so viele Sorgen und dann stelle ich auch noch dumme Fragen.“ Dann lachte er leise. „Aber ich finde es entzückend, wenn du dich so aufregst!“
„Sei froh, daß du so schwach und hilflos bist!“ rief ich in gespieltem Zorn. „Sonst könntest du jetzt etwas erleben! Aber warte nur ab, bis es dir wieder besser geht, dann zahle ich es dir heim.“
„Hoffentlich bin ich bald wieder gesund“, sagte er, und in seinen Augen blitzte der alte Übermut auf. „Ich kann es kaum erwarten, daß du deine schreckliche Rache an mir vollziehst.“
„Du alter Wüstling!“ lachte ich, glücklich darüber, daß er sich so gut zu erholen schien. „Kaum dem Tod von der Schippe gesprungen, riskiert dieser Mann schon wieder eine kesse Lippe! Werde erst einmal wieder etwas kräftiger. Mit Halbinvaliden lasse ich mich nicht ein!“
Ich sah, daß er schon wieder eine Frage auf den Lippen hatte. Er fragte stets, wenn ich Ausdrücke gebrauchte, die er nicht kannte und die ihnen meist aufs höchste amüsierten. Doch ehe er nun zu erneuten Fragen ansetzen konnte, rief ich: „Halt ein! Halt ein! Ihr Götter von Valamin, verschont mich vor den Fragen dieses Mannes!“
Er lachte, aber er schluckte seine Fragen hinunter.
Am nächsten Nachmittag wagte ich es zum ersten Mal, seinen Verband zu erneuern. Rowin hatte sich auf den Ellenbogen aufgestützt und sah mir dabei zu. Als ich die Wunde freigelegte, entfuhr ihm ein verblüffter Ausruf. Er hatte die Fäden gesehen.
„Was hast du da gemacht, Athama?“ Er konnte es nicht begreifen.
„Ich habe die Wunde genäht, als du bewußtlos warst“, antwortete ich.
„Genäht? So richtig mit Nadel und Faden, wie ein zerrissenes Hemd?“ Er war völlig aus dem Häuschen.
„Ja, genau wie ein zerrissenes Hemd!“ bestätigte ich. „Wie hätte ich diese klaffende Wunde sonst schließen sollen? Verstehst du, dadurch, daß ich die Wundränder mit dem Faden aneinander zog, wird die Verletzung viel schneller heilen, da sie nicht bei jeder Bewegung wieder aufgerissen wird. Wenn sie sich nicht entzündet und alles gut verheilt, wird nur eine dünne Narbe bleiben. Sieh nur, wie gut die Wunde schon aussieht!“
Tatsächlich war ich höchst zufrieden. Die Wunde schien sich nicht zu entzünden, was ich im Stillen befürchtet hatte, und nur einer der Fäden zeigte eine nässende Stelle. Es war nur noch wenig Blut ausgetreten, und der Verband hatte sich leicht ablösen lassen. Rowin mußte außergewöhnlich gutes Heilfleisch haben, denn die Wunde schien sich bereits zu verschorfen. Ich betupfte die nässende Stelle mit Alkohol, was Rowin ohne mit der Wimper zu zucken ertrug. Er sagte kein Wort mehr, bis ich ihm den frischen Verband angelegt hatte. Dann ergriff er meine Hand und küsste sie.
„Athama, dich haben die Götter zu mir gesandt!“ sagte er leise. „Ich habe die Wunde jetzt erst richtig gesehen, und ich weiß, wie leicht ich daran hätte sterben können. Ich wäre vielleicht verblutet, bevor sie sich hätte schließen können, oder der Brand hätte sich in meinen Körper gefressen. Viele
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