Das Traumtor (German Edition)
bei den Armen. Wie ein Postpaket wurde ich dem Anführer zum Sattel hochgereicht und er setzte mich vor sich.
„Versuch nicht zu fliehen“, fuhr er mich an. „Bei der geringsten Bewegung steche ich dir den Dolch ins Fleisch.“
Auch die anderen fünf sprangen auf die Pferde, und dann ging es in halsbrecherischen Galopp davon.
Fliehen!? Wie hätte ich fliehen sollen? Selbst wenn es mir gelungen wäre, mich dem harten Griff zu entwinden – ein Sturz vom Pferd bei diesem Tempo wäre Selbstmord gewesen! Und dann – wie hätte ich ihnen wohl blind und mit gefesselten Händen entkommen können? Aber trotz ihrer Überzahl schien es, als hätten meine Entführer eine höllische Angst vor mir. Da hatte sich die Geschichte unserer Heldentat schon verbreitet, und anscheinend hielten mich diese Männer für weit gefährlicher, als ich es war. Wäre Rowin nur bei mir gewesen! Rowin! Ein heißer Schreck durchfuhr mich. Er würde mich bereits vermissen. Welche Angst und Sorgen würde er ausstehen, wenn ich auf einmal verschwunden war. Doch vielleicht war es gut gewesen, daß ich allein hinausgegangen war. So wie es aussah, hatten diese Leute es nur auf mich abgesehen gehabt und hätten ihn wohl möglich hinterrücks ermordet, da sie ihn weit mehr zu fürchten gehabt hätten als mich. Aber was mochte man mit mir vorhaben? Lösegeld? Niemand wußte doch, wer ich wirklich war. Ich war völlig verwirrt.
Der Schock über das Geschehene und die Sorge um Rowin ließen mich keinen klaren Gedanken fassen. Seltsamerweise hatte ich im Augenblick nur wenig Angst, daß man mir ans Leben wollte, denn das hätten die Leute ja sehr schnell erledigt haben können. Wollte mich jemand als Sklavin? Unwahrscheinlich, denn es gab weiß Gott jüngere und hübschere Frauen als mich, die für diesen Zweck wohl weit besser geeignet waren. Oder waren die Männer wohl möglich Reste der Bande des Schecken, die den Tod Ihres Anführers rächen wollten? Hatten diese herausgebracht, wo wir uns aufhielten? Vielleicht hatten sie ausgekundschaftet, daß wir abends immer zu den Pferden gingen und hatten mich nur deshalb jetzt nicht sofort getötet, um mich als Köder für Rowin zu benutzen, der ihnen heute ja nur durch Zufall entgangen war? Ihr Plan würde dann wohl zum Erfolg führen, denn ich wußte genau, daß Rowin alles tun würde, um mich aus den Händen dieser Mörder zu befreien, auch wenn er dadurch sein eigenes Leben riskierte.
Die Angst um Rowin überdeckte meine Furcht vor dem, was mir bevorstehen würde, und würgte in meinem Hals. Der Knebel behinderte meine Atmung und ich geriet fast in Panik. Nur mühsam konnte ich mich dazu zwingen, langsam durch die Nase zu atmen, damit ich nicht erstickte. Ich versuchte, mich zu beruhigen, denn es brachte nichts, wenn ich jetzt den Kopf verlor. So gab ich die fruchtlosen Mutmaßungen und Grübeleien auf. Ich würde wohl nur zu bald erfahren, was man mit mir vorhatte.
Ohne Aufenthalt hasteten meine Entführer mit mir durch die Nacht. Erst gegen Morgen wurden die Pferde angehalten. Der Anführer ließ mich aus dem Sattel in die Hände eines seiner Kumpane gleiten. Dann wurden mir die Kapuze vom Kopf und der Knebel aus dem Mund genommen. Verwirrt blinzelte ich in das trübe Licht der Morgendämmerung. Als ich die Gesichter der mich mit hämischem Grinsen umstehenden Männer sah, lief es mir kalt den Rücken herunter. In ihren Augen lagen Hass und Grausamkeit, und nur mit Mühe konnte ich einen Aufschrei des Entsetzens unterdrücken, als mein Blick auf den Anführer fiel. Wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, daß der Schecke – von Rowins Schwert durchbohrt – tot zu Boden gesunken war, hätte ich geglaubt, ihm nun wieder gegenüberzustehen. Das hier mußte sein Zwillingsbruder sein, oder ein Dämon, denn der Mann glich dem toten Räuber wie ein Ei dem anderen. Doch noch war zu viel von den nüchternen Überlegungen meiner verlorenen Welt und zu wenig von der hier geltenden Mystik in mir, und so schien mir das Erstere die wahrscheinlichste Erklärung. Aber gleich viel – hatte ich bis jetzt noch die Hoffnung auf Rettung gehegt, so zerstob sie jetzt in alle Winde und machte einer kalten Verzweiflung Platz. Aus den Händen dieses Mannes würde es kein Entrinnen geben!
Da riß er mich auch schon am Arm zu sich heran. „Ich glaube, du kannst dir denken, wer ich bin“, knurrte er, und ein böses Lächeln verzog seine bärtigen Lippen. „Mein Name ist Rybar, und ich bin der Bruder des Mannes,
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