Das Traumtor (German Edition)
der Schulze. „Bedenke doch, daß sie die Berge von diesem Mörder befreit haben, der schon so viele Leute getötet hat! Und haben diese Schurken nicht erst im vergangenen Jahr zwei unserer Mädchen entführt, die man nie wieder gesehen hat? Und Elans Vater haben sie erschlagen, als er seiner Tochter zu Hilfe eilte. Wie lange wollen wir noch in Angst und Schrecken vor diesem Raubgesindel leben? Sarkon, deine Tochter geht jetzt ins fünfzehnte Jahr und ist ein hübsches Mädchen. Willst du zusehen, wie die Räuber eines Tages auch sie verschleppten, um sie an die Nordlandbarbaren als Sklavin zu verkaufen, wenn sie selbst ihrer überdrüssig geworden sind?“
Betreten senken die beiden Bauern die Köpfe. Sie waren keine Helden, und viel zu tief saß die Furcht von den Banditen in ihren Herzen. Während der Schulze sie noch mit verächtlichem Mitleid anschaute, erklang vor seinem Haus der Hufschlag von Pferden und eine laute Stimme rief seinen Namen. Der Mann eilte zum Fenster und öffnete es. Vor dem Haus hielt ein Trupp bewaffneter Reiter: die Straßenpatrouille!
„Euch senden die Götter!“ rief der Schulze. „Eilt euch und kommt herein! Die Bande des Schecken treibt wieder ihr Unwesen, doch jetzt wissen wir, wo ihr sie finden könnt.“
Eine Viertelstunde später jagten die Soldaten bereits wieder davon, auf die Berge zu. Erleichtert und mit beruhigten Gewissen sahen die Bauern ihnen nach, wie sie in der Dunkelheit verschwanden.
Zwischenzeitlich waren Rowins Gedanken wie gelähmt vor Angst um Athama. Blindlings jagte er nach Nordwesten auf die Berge zu, wie es der Anweisung der Räuber gestanden hatte. Die kaum verheilte Narbe an seiner Seite begann zu schmerzen, doch er kümmerte sich nicht darum. ‘Du musst Athama retten!‘ hämmerte es in seinen Schläfen. Was mochten diese Schurken mit ihr anstellen? Grauen überfiel Rowin, wenn er sich ausmalte, was man ihr antun könnte. Wie von Sinnen trieb er Jarc an, und das große Pferd wieherte erschreckt auf, als die Zügel in schmerzhaften Schlag seinen Hals trafen. Eine solche Behandlung war er von seinem Herrn nicht gewohnt.
Rowin mochte vielleicht zwei Stunden geritten sein, als seine Gedanken sich langsam wieder klärten und ihm das Unsinnige seines Tuns bewußt wurde. Jarc war sehr schnell. Was würde sein, wenn er die Entführer in der Dunkelheit überholte? Er wußte ja nicht, wo sie hin wollten, und dann konnte es lange dauern, bis er wieder ihre Spuren fand. Jetzt in der Nacht konnte es sein, daß er nur wenige hundert Schritte entfernt an ihnen vorüberritt und dann natürlich keine Zeichen fand, ihm den weiteren Weg weisen würden. Daß die Banditen ihm eine Falle stellen wollten, war ihm klar, doch er hoffte, ihr entgehen zu können. Er mußte ihr entgehen, denn er wußte genau, daß diese Leute Athama niemals freilassen würden, auch wenn sie ihn in die Hände bekamen. Er war sich dessen bewußt, daß sein Unternehmen mehr als aussichtslos war. Er hatte keine Ahnung, wie zahlreich die Bande noch war, nachdem sechs ihrer Mitglieder den Tod gefunden hatten. Aber selbst wenn es nur noch wenige waren, standen seine Chancen doch denkbar schlecht, denn er fühlte genau, wie sehr sein Körper noch durch die Verletzung geschwächt war. Aber die Räuber hatten ihm keine Wahl gelassen. Die kurzen Zeilen auf dem Pergament ließen keinen Zweifel daran, daß man Athama töten würde, käme er nicht allein oder gar zu spät. Selbstvorwürfe quälten Rowin. Warum hatte er Athama nur allein zu den Pferden gehen lassen? Hätte er nicht wissen müssen, daß – so nah an den Bergen – die Gefahr bestand, daß die Banditen ihre erschlagenen Gefährten rächen würden? Es war seine Schuld, daß Athama in die Hände dieses Gesindel gefallen war! Wäre er mit ihr hinausgegangen, hätte sie vielleicht fliehen könnten, während er die Mörder von ihr ablenkte. Doch gleich darauf wurde ihm klar, daß diese Überlegung absurd war. Wäre er dabei gewesen, hätte man sie beide verschleppt. So hatte er vielleicht noch eine winzige Chance, Athama zu befreien. Vielleicht würden sich die Räuber scheuen, sie beide zu töten, wenn sie erfuhren, wer da tatsächlich in ihre Hände geraten war, und sie gegen Lösegeld freigegeben. Falls auch er gefangen würde, wollte er seine Herkunft preisgeben und ihnen erzählen, daß er im Dorf seinen wahren Namen und seine Absichten hinterlassen habe. Vielleicht wäre dann die Angst der Banditen vor der unerbittlichen Verfolgung größer
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