Das Treffen in Telgte
gewesen. Dort gackere nichts mehr.
Merkwürdig, daß sich der fromme Gerhardt ereiferte: Man hätte besser vorsorgen sollen. Dach, als der Einladende, hätte das Notwendigste – Speck und Bohnen – bereithalten müssen. Er sei doch bei seinem Fürsten in Gunst. Warum aus dessen calvinistischer Fourage nichts abzuzweigen gewesen wäre? Er verlange nur, was notdürftig jeder Christenmensch brauche. Außerdem könne ein Gast wie der kursächsische Hofkapellmeister, wenn er sich schon herablasse, bei schlichten Strophenliedschreibern zu weilen, bessere Bewirtung verlangen.
Darauf sagte Dach: Man möge ihn nur schelten. Doch dulde er nicht, daß seines Fürsten Religion geschmäht werde. Ob Gerhardt nicht die brandenburgischen Toleranzdikte kenne?
Denen werde er sich nicht beugen, hieß die Antwort. (Und viel später, als Diakon der Nikolaikirche in Berlin, konnte er seinen Glaubenseifer bis zur Amtsenthebung beweisen.)
Wie gut, daß noch immer vom rheinischen Braunbier genug war. Rist vermittelte mit Gesten. Als Wittenberger Autorität rief Buchner seine ehemaligen Schüler zur Ordnung. Und als die Wirtin der Gesellschaft kleine Hoffnung machte, es werde Gelnhausen, von Münster zurück, womöglich was Handfestes bringen, waren die Dichter bald über den Suppenstreit hinweg und bissen sich an Sprachgebilden fest: genügsame Wortwiederkäuer, denen notfalls Selbstzitate Sättigung brachten.
Während Schütz’ Kritik den grad noch betretenen Gryphius nicht hinderte, etliche neue Trauerspiele in düsteren Szenen vor bald versammelten Zuhörern zu entwerfen, hatte Schütz’ Lob die Papiere des Breslauer Studenten für einige Verleger interessant gemacht: der junge Scheffler wußte nicht, wie er sich den Angeboten der Drucker verweigern sollte. Als der Nürnberger Endter mit dem Versprechen einer städtischen Medicus-Stelle lockte, bot Elzevihrn die Rückkehr nach Leyden, zwecks weiterer Studien: Es sei dem Studenten anzuhören gewesen, wo sich sein Geist – wie vormals dem jungen Gryphius – geweitet habe.
Doch Scheffler blieb bei seinem: Er werde sich Rat aus anderem Munde erfragen. (Wohl deshalb sah ich ihn später nochmal durchs Emstor nach Telgte hineinlaufen, wo er, zwischen den üblichen alten Weibern, vorm hölzernen Gnadenbild kniete…)
Am anderen Ende des langen Tisches wollten Logau und Harsdörffer wissen, was Gelnhausen so früh nach Münster getrieben habe. Die Wirtin Libuschka sprach hinter der Hand, als verriete sie ein Geheimnis: Es habe die kaiserliche Kanzlei den Stoffel herbeizitiert. Nicht nur die Weimarer seien aufrührig, auch bei den Bayern, die mit dem Schwed ihren Sonderfrieden gemacht hätten, werde gemeutert: zum Kaiser übergegangen, versuche der Reitergeneral Werth, dem Krieg neuen Auftrieb zu geben. Dessen immer lustigen Haufen kenne sie gut. Aus dessen Regimentern habe sie zwei Ehemänner, wenn auch für kurze Zeit nur, als Bettgenossen gehabt. Dann erklärte die Libuschka, warum sie die Zucht Wallensteinischer Regimenter gemieden habe. Sie verlor sich in Anekdoten aus kreuzqueren Feldzügen, wobei ruchbar wurde, daß sie vor drei Jahren mit Gallas’ Heerhaufen in Holstein eingefallen war und bei der Plünderung Wedels – wie gut, daß Rist sich woanders erregte – ihren Abstrich gemacht hatte. Dann erzählte sie aus früheren Zeiten: Wie sie Mitte der zwanziger Jahre, noch jugendfrisch und beritten in Hosen, unter Tilly gedient und – bei Lutter war’s – einen dänischen Rittmeister gefangengenommen habe. Der hätte sie gewiß – denn er sei von Adel gewesen – zur Gräfin gemacht, wenn nicht der Verlauf des wechselgünstigen Krieges…
Natürlich hatte die Libuschka Zuhörer. Gründlicher als viele der Poeten kannte sie sich aus im Hin und Her der Mächte. Sie sagte: Nicht Diplomatie, sondern die Suche nach Winterquartieren bestimme den Kriegsverlauf.
Über ihren Geschichten vergaß man die Mission des Stoffel. Solange sie redete und mit Zeitsprüngen drei Jahrzehnte ausmaß, war selbst der alte Weckherlin begierig, das evangelische Verhängnis seiner Jugend, die Schlacht bei Wimpfen, von beiden Neckarufern geschildert und das den Spaniern günstige Wunder – eine weißgewandete Marienerscheinung – erklärt zu bekommen: Es hätte, sagte die Wirtin, explodierende Munition eine Wolke gezeugt, die, übers Schlachtfeld geweht, katholische Deutungen zugelassen habe.
Erst als Moscherosch und Rist abwechselnd jenen Aufruf der Dichter an die Fürsten verlasen, den sie mit
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