Das Treffen in Telgte
auszurufen, nur übliche Ohnmacht. Die müsse nicht posaunt werden. Die lohne das Treffen nicht. Weshalb man dennoch versammelt bleibe?
Heinrich Schütz, der den Wechselreden wie abwesend beigesessen war, beantwortete die Frage nach dem Weshalb: Der geschriebenen Wörter wegen, welche nach Maßen der Kunst zu setzen einzig die Dichter begnadet seien. Auch um der Ohnmacht – er kenne sie wohl – ein leises »dennoch« abzunötigen.
Dem konnten wir zustimmen. Rasch, wie um den kleinen Frieden zu nutzen, sagte Simon Dach: Ihm gefalle der Text, selbst wenn er nicht brauchbar sei. Der sonst so strenge Herr Schütz habe nur milde gesagt, was jedermann wisse: Es fehle den Dichtern alle Macht, außer der einen, richtige, wenn auch unnütze Wörter zu setzen. Man werde den Aufruf überschlafen. Vielleicht komme er über Nacht zu einer günstigeren Lesart. Dann rief er die Versammlung in die Große Diele zu neuem Disput. Es wolle doch Gerhardt nun endlich dem weitberühmten Gast replizieren.
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Die Kerbelsuppe mit der ihr eingekochten Grütze mochte die vorher gereizten Gemüter beschwichtigt haben, oder es hatte der Aufruf an die Fürsten die Dichter zur Ader gelassen; jedenfalls hockten sie matt im Halbkreis, maßvoll trug Gerhardt seine Rede gegen den kursächsischen Kapellmeister vor.
Heinrich Schütz’ Vorwurf, es fehle der deutschen Poeterey an Atem, vollgestopft mit Wortmüll sei sie, keine Musik könne sich in ihrem Gedränge mit sanfter oder erregter Geste entfalten: diese schlechte Zensur, der als Fußnote unterstellt war, es habe wohl der Krieg das Gärtlein der Dichtkunst verdorren lassen, blieb als These haften, denn, von Dach aufgerufen, redete Gerhardt nur allgemein hin. Es habe der Gast einzig seine hohe Kunst im Auge. Bei so kühnem Überblick werde ihm das schlichte Wort entgangen sein. Das wolle zuerst Gott dienen, bevor es sich der Kunst beuge. Weshalb der wahre Glaube nach Liedern verlange, die als Wehr gegen jegliche Anfechtung stünden. Solche Lieder seien dem einfachen Gemüte gewidmet, so daß die Kirchengemeinde sie ohne Mühe singen könne. Und zwar vielstrophig, damit der singende Christ von Strophe zu Strophe seiner Schwäche entkomme, Glaubensstärke gewinne und ihm Trost zuteil werde in schlimmer Zeit. Das zu tun, dem armen Sünder zu ihm gemäßem Gesang zu verhelfen, habe Schütz verschmäht. Selbst der Beckersche Psalter sei, wie er vielenorts hören müsse, den Kirchgemeinden zu vertrackt. Da baue er, Gerhardt, besser auf seinen Freund Johann Crüger, der sich als Kantor aufs strophische Lied verstehe. Dem rage nicht die Kunst vor allem. Dem seien nicht der Fürsten glänzende Hofkapellen teuer, sondern des gewöhnlichen Mannes Nöte wichtig. Dem wolle es mit anderen, wenn auch nicht weitberühmten Komponisten nie zu gering sein, der täglich bedürftigen Christgemeinde zu dienen und strophigen Liedern Noten zu setzen. Er nenne: des so früh zu Gott gegangenen Fleming »In allen meinen Taten…« oder des ehrbaren Johann Rist »O Ewigkeit, du Donnerwort…« oder unseres freundlichen Simon Dach »O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen…« oder des grad noch geschmähten, nun wahrlich wortmächtigen Gryphius »Die Herrlichkeit der Erden muß Rauch und Aschen werden…« oder auch seine, des ganz dem Herrn ergebenen Gerhardt Strophen: »Wach auf, mein Herz, und singe…« oder was er jüngst geschrieben »O Welt, sieh hier dein Leben am Stamm des Kreuzes schweben…« oder »Nun danket all und bringet Ehr…« oder was er hierorts, in seiner Kammer geschrieben, weil doch der Friede bald komme und dann von den Kirchgemeinden gelobpreiset sein wolle: „Gott Lob, nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort, daß nunmehr ruhen sollen die Spieß und Schwerter und ihr Mord…«
Dieses sechsstrophige Lied, in dessen vierter Strophe – »…ihr vormals schönen Felder, mit frischer Saat bestreut, jetzt aber lauter Wälder und dürre, wüste Heid…« – des Vaterlandes Zustand zu einfachen Wörtern gefunden hatte, trug Gerhardt auf sächsische Weise in ganzer Länge vor. Die Versammlung war ihm dankbar. Rist grüßte ergeben. Schon wieder in Tränen: der junge Scheffler. Gryphius stand auf, ging auf Gerhardt zu und umarmte ihn mit großer Gebärde. Danach wollte sich Nachdenklichkeit breitmachen. Schütz saß wie unter eine Glasglocke gestellt. Albert voll innerer Not. Dach schneuzte sich laut, mehrmals.
Da sagte Logau in die abermals ausbrechende Stille: Er wolle nur bemerken,
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