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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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und kühnen Wortbildner, zwar lobte Hoffmannswaldau den galanten Fluß der Erzählung, doch lösten die Ohnmachtsanfälle der adriatischen Rosemund, ihr ständiges »unbas« sein – »Di augen waren halb eröfnet, der mund verblasset, di zunge verstummet, di wangen verblichen, di hände verwälket und unbewähglich…« – bei Rist und anderen Zuhörern (Lauremberg und Moscherosch) störendes Gelächter während der Lesung und lustvolle Parodien im Verlauf der Kritik aus.
    Wie unter Peitschenhieben saß Zesen. Kaum daß er Logaus Zwischenruf: »Ein Wagnis immerhin!« wahrnahm. Als schließlich Buchner seinem ehemaligen Schüler mit kühler und Opitz allgewaltig herbeizitierender Rede die gefühligen Überschwemmungen einzudeichen begann, rettete sich Zesen in heftiges Nasebluten. Wieviel der dürre Mensch davon hatte. Es floß über den weißen Rundkragen. Es tropfte ins immer noch offene Buch. Dach brach die Kritik ab. Jemand (Czepko oder der Verleger Elzevihrn) führte Zesen in den Hintergrund. Auf die kühlen Dielen gelegt, verging ihm das Bluten bald.
    Inzwischen saß Harsdörffer neben der Distel. »Der Spielende«, wie er im Kreis der Fruchtbringenden Gesellschaft hieß. Ein immer lockerer, selbstsicherer Herr mit Gespür für das Neue, der sich mehr als gelehrter Förderer junger Talente und – einzig zum Wohle Nürnbergs – als patrizischer Stadtpolitiker, denn als Dichter von Passion gab; also las er, was allgemein gefiel: einige seiner Rätsel, deren Auflösung der Versammlung unterhaltsam war. Mal war es ein Federbett, dann des Mannes Schatten, ein Eiszapfen, der böse und der wohlschmeckende Krebs, endlich ein totes Kind im Mutterleib, die alle kunstvoll in jeweils vier Zeilen versteckt waren. Harsdörffer trug launig, die Wirkung eher mindernd, vor.
    Nach viel Lob, in das auch Gryphius einstimmte, fragte Birken vorsichtig, als wollte er seinen Förderer um Rat ersuchen, ob es wohl schicklich sei, ein im Mutterleib schon abgestorbenes Kind in solch leichtfüßiger Versform zu verbergen?
    Nachdem er Birkens Frage als Unsinn qualifiziert, Einwände von Rist und Gerhardt, die gar nicht laut geworden waren, dennoch zitiert, dann widerlegt hatte, befand der Literaturmagister Buchner, es könne das Rätsel sowohl heiter gebunden sein, als auch mit tragischer Lösung niederkommen; im übrigen tauge diese Kleinform nur als Nebenwerk der Dichtkunst, sei aber durchaus den Pegnitzschäfern angemessen.
    Schon saß der verarmte, doch als Verwalter der Briegschen Güter gesicherte Landedelmann auf dem Schemel und gab der Distel neben sich, indem er mit ihren Stacheln zwei drei seiner handgroßen Papierchen spießte, ironischen Hintersinn. „Der Verkleinernde", wie er als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft genannt wurde. Und bewährt knapp faßte sich Logau. Sarkastisch und einigen Ohren zu frech sagte er in zwei Zeilen mehr, als lange Abhandlungen hätten zerreden können. Etwa über die Konfessionen: »Luthrisch, Päbstlich vnd Calvinsch, diese Glauben alle drey Sind verhanden; doch ist Zweiffel, wo das Christenthum dann sey.« Oder in Aussicht auf den bevorstehenden Frieden: »Wer wird, nun Friede wird, bey solcherley verwüsten Zum ersten kummen auff? die Hencker vnd Juristen.«
    Nach zwei längeren Gedichten, von denen eins einen Kriegshund sprechen ließ, schloß Logau mit einem Zweizeiler, der sich der Frauenmode annahm und den er ausdrücklich den Mägden der Wirtin Libuschka widmen wollte: »Frauen-Volck ist offenhertzig; so wie sie sich kleiden jetzt Geben sie vom Berg ein Zeichen, daß es in dem Thale hitzt.«
    Nach Hoffmannswaldau und Weckherlin zeigte sogar Gryphius Gefallen. Buchner schwieg zustimmend. Jemand wollte bei Schütz ein Lächeln bemerkt haben. Rist erwog öffentlich, den Zweizeiler vom Streit der Konfessionen bei nächster Predigt seiner Wedelschen Kirchgemeinde zuzumuten. Als sich – man ahnte schon warum – der fromme Gerhardt meldete, übersah Dach dessen Handzeichen und sagte, wie um dem Übersehenen Bescheid zu geben: Wer an des Logau Offenherzigkeit Anstoß nehme, den wolle er heute nacht zu den drei Mägden sperren. Er kenne etliche Herren, die dortzulande schon vom Berg ins Tal gestiegen seien.
    Indem die Dichter einander spöttisch musterten, Greflinger ein Liedchen pfiff, Birken mit feuchten Lippen lächelte, Schneuber halblaut anzüglich wurde und Lauremberg nach dem jungen Scheffler fragte, sagte Buchner: Nunja. Man müsse sich sputen. Bei so knapper Zeit sei nur

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