Das Turmzimmer
alarmieren musste, und der Beamte drehte sich um. Antonia atmete sehr schnell.
»SIE waren es!« Sie zeigte zum Turmzimmer hoch. »Das waren die Gespenster da oben. Laurits konnte sie nicht beschwichtigen, weil die Türme renoviert werden sollen, und da sind sie wütend geworden!«
»Wütend geworden?«
Der Landpolizist sah Antonia forschend an.
»Es waren nicht Sie, die über irgendetwas wütend geworden sind und Ihren Eltern einen Denkzettel verpassen wollten, kleines Fräulein?«
Antonia trat ein paar Schritte zurück und schüttelte den Kopf.
»Nein … nein, das war nicht …«
Ihre Stimme war plötzlich ganz kraftlos. Der Landpolizist verfolgte die Sache nicht weiter. Das Mädchen zitterte ja noch immer von dem Schock, das konnte jeder sehen, und ihrer Schwester ging es noch schlechter. Sie lag völlig stumm unter einer Vielzahl von Decken, und um ihre Augen breitete sich das Dunkel aus wie Ringe im Wasser. Laurits zweifelte nicht daran, dass es sich bald noch weiter ausbreiten und sie ganz bedecken würde. »Es ist klar, dass ich mir meinen Teil denke«, schrieb sie, »da ich die Disposition der Familie, den Verstand zu verlieren, nun einmal kenne. Lily wirkt allmählich völlig apathisch, und um Antonia steht es nicht viel besser.«
»Sehen Sie zu, dass Sie etwas Ruhe bekommen, kleines Fräulein«, sagte der Landpolizist Jensen zu Antonia. Doch sie fand keine Ruhe, sondern wanderte von Zimmer zu Zimmer, und wenn Laurits sich nicht sehr irrte, sprach sie vor sich hin.
»Das war eine sehr, sehr schlimme Tat!«, hörte Laurits sie schimpfen. »Aber wir ziehen nirgendwo anders hin, dass ihr es nur wisst. Wir bekommen das alles wieder hin, das verspreche ich, und wir werden euch alle gut behandeln.«
»Ich fühle mich so schuldig«, schrieb Laurits, ihre Schrift floss in großen, schwarzen Klecksen die Seite hinunter. »Ohne all meine Lügen würden Herr Horace und Frau Clara vielleicht noch leben. Ich habe behauptet, die Gespenster beschwichtigen zu können, und jetzt ist es zu spät, Antonia und Lily die Wahrheit zu sagen. Antonia und Lily haben ihr Leben lang an meine Fähigkeiten geglaubt. Ich kann ihr Vertrauen nicht enttäuschen, ich muss meine Besuche in den Turmzimmern sofort wiederaufnehmen und hoffen …« Hier hatte Laurits ein paar Sätze durchgestrichen. Sie fuhr in einer neuen Zeile fort: »Das einzig Richtige wäre, meine Arbeit jemandem zu überlassen, der die erforderlichen Fähigkeiten besitzt, doch auch das geht nicht. Ich kann Liljenholm nicht verlassen. Ich kann die Mädchen jetzt unmöglich verlassen. Deshalb muss ich tun, was ich kann, und das Beste hoffen.«
Und nach mehreren Monaten wendete sich alles zum Guten. Antonia hörte auf, ruhelos durch Liljenholm zu wandern, und Lily stand aus dem Bett auf. Sie begannen miteinander zu flüstern, ja, mehr als das. Ihre dunkelhaarigen Köpfe sahen fast wie einer aus, wie sie da in Claras altem Zimmer unten im Turm am Fenster standen. Antonia streichelte langsam Lilys Wangen, sodass Laurits ein Seufzer entfuhr. Die Zärtlichkeit in Antonias Augen zog sie an, die Küsse, die Antonia auf Lilys Lippen drückte. »Ich kann sie fast spüren«, schrieb Laurits. Lily war zwar noch immer etwas entkräftet. »Doch als Antonia ihr das Kleid über die Hüften zog, sah ich, dass sie ihrer Schwester langsam wieder glich. Sie war auf die gleiche kantige Weise schlank. Antonia zog sie zur Chaiselongue hinüber, und sie legten sich hin. Oh! Ich konnte fast spüren, wie es für Lily sein musste, als Antonias Hand zwischen ihre Beine glitt.«
Später kamen Antonia und Lily in die Küche zu Laurits hinunter, die in einem großen Topf Erbsensuppe rührte. Lilys Gesichtszüge waren zur Ruhe gekommen, ihre Lippen waren röter als sonst, und zum ersten Mal seit Monaten sprach sie Laurits an.
»Ich habe mich entschlossen, meine Verlobung mit Herrn William zu lösen«, sagte sie. »Ich will nicht heiraten, Laurits, das musst du doch verstehen. Ich will weiter hier mit euch zusammen auf Liljenholm bleiben, das heißt, wenn du auch hierbleibst. Ich hoffe wirklich, dass du das tust, und Antonia und ich …«
Sie warf ihrer Schwester, die auf der anderen Seite des Herds stand, einen langen Blick zu.
»Wir haben beschlossen, etwas für Liljenholms Finanzen zu tun, sodass wir alle drei hier wohnen bleiben können«, fuhr sie fort. Ihr Ton war nicht misszuverstehen. Sie meinte, was sie sagte.
»Das habt ihr also?«
»Ja.«
Antonias Hand brachte Laurits’
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