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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Situation«, schrieb sie am selben Abend. »Antonia hätte uns doch zumindest über ihre Absichten informieren können. Doch das ist wieder einmal typisch für sie, impulsiv bis zum Äußersten. Und darüber hinaus hat sie ihre Liebe für einen äußerst ordinär aussehenden Mann meines Alters entdeckt. Fünfzig, wenn nicht älter! Er hat mich die ganze Zeit unverhohlen angestarrt, offenbar findet er mein Aussehen zutiefst abstoßend. Doch er sollte lieber einen Blick auf sich selbst werfen, er ist viel zu alt für ein zwanzigjähriges Mädchen. Vor allem für ein Mädchen wie Antonia, die jünger aussieht, als sie ist. Doch das scheint ihn nicht zu kümmern. Noch nicht. Ich möchte wissen, was sie ihm über Lily und Liljenholm erzählt hat. Ob er auch nur die geringste Ahnung hat, worauf er sich einlässt?«
    Es zeigte sich schnell, dass die Antwort Nein lautete. Simon hatte zwar mit halbem Ohr gehört, dass Liljenholm von Gespenstern heimgesucht wurde, die Horace und Clara getötet hatten. Doch in seinem Kopf gab es Gespenster nur in der Literatur, und wahrscheinlich traf das auf intime Verhältnisse wie das von Antonia und Lily genauso zu. Laurits fragte ihn nicht. Sie merkte nur, dass Lily Antonia still und ruhig zurückeroberte. »Das freut mich unsagbar«, schrieb sie. »In den zwei Wochen im Monat, in denen Simon in Kopenhagen ist, um seinen Verlag zu führen, ist fast alles wieder wie früher.« In diesen Perioden schlief Antonia nicht in ihrem Ehebett, sondern eng umschlungen mit Lily, während Laurits vor dem Schlüsselloch Wache hielt. Ihre einzige Angst war, dass Simon herausfand, was vor sich ging. Und so kam es auch. Denn eines Abends kam Simon in Lilys Arbeitszimmer gestürmt und fand auf der Chaiselongue Antonia und Lily bei einem erotischen Spiel. »Ich stand in der Küche und bereitete eine leckere Kaltschale zu«, schrieb Laurits, »und als er zu mir hereinkam, konnte ich mir sofort ausrechnen, was die Uhr geschlagen hatte. Seine Haare standen zu Berge, und er sah völlig verzweifelt aus. ›Haben Sie davon gewusst, Fräulein?‹, fragte er mich, bettelnd fast. Ich muss zugeben, dass ich meine Antwort genoss: ›Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Herr Simon‹, sagte ich. ›Meinen Sie nicht, dass Sie nur Gespenster gesehen haben, mein Lieber?‹«
    Später sollte Laurits ihre Zurückweisung bitter bereuen. »Herr Simon ist absolut kein schlechter Mann, seine Gegenwart ist nur höchst ungelegen«, schrieb sie. »Er ist belesen und höflich und sichtlich verliebt in Antonia. Außerdem bringt er oft neue Romane mit, die den Mädchen viel Freude zu bereiten scheinen. Doch ich hätte so klug sein müssen vorauszusehen, dass seine Eifersucht zu einem Problem werden könnte, wenn sie nicht im Keim erstickt würde. Jetzt wacht er wie ein alter Hütehund über Antonia und Lily. Es ist nicht auszuhalten.«
    Antonia erging es wesentlich besser damit als Lily. Sie schien die Aufmerksamkeit, die ihr plötzlich zuteilwurde, sichtlich zu genießen. Simons Geschenke genoss sie auch. Die teuren Kleider und die hochhackigen Schuhe, die Parfümflakons und die Hüte mit den breiten Krempen. Lily dagegen verkroch sich immer weiter in Lady Nellas geschlossene Augen , und dort blieb sie auch. Antonia fügte hin und wieder eine unbedeutende Passage oder ein Adjektiv zum Manuskript hinzu, doch ansonsten war es Lilys Werk. Sie schlug auch vor, das Bild einer schönen Frau zu finden, die die Leser der Fortsetzungsromane für Antonia Lily halten konnten.
    »Eine, die weder Antonia noch ich ist, mit der die Leser sich identifizieren können«, sagte sie und reichte Simon die letzten Kapitel, die er nachdenklich entgegennahm.
    »Ich glaube, ich kenne eine«, sagte er. »Eine junge, schöne Frau, sie heißt Karen Kvist.«
    »Das ist eine gute Idee!«, unterbrach ihn Antonia. »Fräulein Kvist ist Simons Sekretärin im Verlag«, fuhr sie, an Lily gewandt, fort. »Wenn wir sie jetzt noch dazu bringen können zu lächeln … glaubst du, das werden wir, Simon? Sie könnte ganz gut aussehen, vor allem wenn sie sich meine Sachen leihen und sich die Haare beim Frisör ordentlich machen lassen würde. Glaubst du, du kannst sie dazu überreden?«
    Wie Sie bestimmt erraten haben, wurde Karen Kvist später zu Karen Hansen, und obwohl sie nicht die geringste Lust hatte, Antonia Lily zu spielen, konnte Simon sie dazu überreden. Er war ganz damit beschäftigt, alle Abschnitte des Fortsetzungsromans zu überarbeiten, damit das Buch erscheinen

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