Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
Vom Netzwerk:
mit Tulpen, selbst die bestickten Kissen auf dem Sofa waren mit Sorgfalt drapiert. Deshalb war mir auch sofort klar, dass das Bild in dem vergoldeten Rahmen über dem Sofa kein Zufall war. Die blonde Agathe mit dem Dagmarkreuz. Sie war gegen ein dunkelhaariges Mädchen ausgewechselt worden, das unter den Locken eine Grimasse schnitt. Ihre Nase war zu groß für das restliche Gesicht, und sie kniff die Augen zusammen. Agnes beugte sich zu mir vor.
    »Warum hast du das gesagt?«, flüsterte sie, »… von Laurits? Was hast du damit gemeint?«
    Ich hätte ihr gerne geantwortet, doch Lillemor stand bereits mit einer Karaffe Wasser in der Tür. Sie bemühte sich freundlich zu wirken, wie ich sah, doch sie sah nicht freundlich aus. Sie sah ängstlich aus. Mehr als ängstlich. Ich stand auf.
    »Ich ziehe mich nur schnell um, Frau Kruse«, sagte ich, doch Lillemor trat keinen Schritt zur Seite, um mich vorbeizulassen.
    »Das ist schon in Ordnung, Fräulein Liljenholm«, sagte sie. »Machen Sie sich keine Mühe. Es hat mich nur überrascht, Sie zu sehen, das ist alles. Ich sehe sehr wohl, dass Sie nicht sie sind. Es sind nur das Kleid und die Haare. Mary Pickford, nicht?«
    »Ja, und Agathe Couture vom Speicher von Liljenholm.«
    Sie nickte, als hätte ich etwas völlig Normales gesagt. Ich musste mich zusammennehmen, um sie nicht anzustarren.
    »Sie sind wohl nicht mit einem Fräulein Lauritsen verwandt?«, fragte ich. Ihr Schweigen sprach nahezu für sich selbst.
    »Ich war selbst einmal ein Fräulein Lauritsen, Fräulein Liljenholm«, sagte sie schließlich. »Bevor ich geheiratet habe. Lauritsen ist mein Mädchenname.«
    »Und … kennen Sie …«
    Sie unterbrach mich mit einem Nicken zum Esstisch hin.
    »Setzt euch doch endlich, ihr beiden«, sagte sie. »Ich habe mich so gefreut, Sie kennenzulernen, Fräulein Liljenholm, obwohl Sie mir meine Agnes für so eine lange Zeit entführt haben. Einfach unerhört, nicht?«
    »Nennen Sie mich doch Nella.«
    »Nella? Dann müssen wir uns aber auch duzen, nicht? Ich heiße Lillemor, doch das hat Agnes bestimmt schon erzählt.«
    Sie verschwand in die Küche und kam mit einer großen Schüssel mit Hähnchen wieder zurück, bevor ich antworten konnte. Die Hähnchenstücke tropften von der Schüssel auf unsere Teller. Lillemor musste auf dem Schwarzmarkt gewesen sein, um solche Luxusgüter zu erwerben.
    »Hast du dein Zimmer in der Pension endgültig gekündigt, Agnes? Es hat sich so viel verändert durch den Krieg und das alles. Ja, und die Verdunklung! Die ist nicht gerade eine Zierde für die Fenster, wie ihr seht.«
    Agnes öffnete den Mund und schloss ihn wieder, während Lillemor weitere Fettflecken auf die weiße Decke machte. Ihre Hände zitterten, als sie Servietten auf die Flecken legte, die sich dafür nun auf ihren Wangen ausbreiteten. Sie entschuldigte sich.
    »Ich bin heute nicht ganz ich selbst«, sagte sie. Ich hätte gerne gefragt, wer sie denn dann war. Doch Agnes kam mir zuvor.
    »Hast du Fräulein Lauritsen gekannt? Die Verwalterin auf Liljenholm?«
    Das Befremden in Agnes’ Stimme füllte das Wohnzimmer aus.
    »Lillemor? Hast du sie gekannt?«
    Die Uhr an der Wand hinter uns tickte laut. Lillemor blickte von Agnes zu mir. Die Angst in ihren Augen war unmöglich zu übersehen. Ihr Blick wanderte zum Bücherregal, und sie schien auf irgendetwas in dem halb vollen Regal zu starren, irgendwo zwischen einer Sammlung gebundener Klassiker und ein paar vergoldeten Leuchtern. Ich hatte Agnes noch nie so blass gesehen. Nicht einmal damals, als sie mich nach Antonias und Lilys Tod völlig aufgelöst auf Liljenholm fand.
    »Lillemor?«, sagte sie immer wieder. Ich gebe zu, es amüsiert mich ein wenig zu schreiben, dass Agnes nur dasaß und wiederholte, was sie gerade gesagt hatte. Nach all den Seiten, auf denen sie sich als die Geistesgegenwart in Person beschrieben hat, ist es schön, die Dinge ein wenig zurechtzurücken.
    »Lillemor?«, sagte ich ganz ruhig. »Was hältst du davon, wenn ich dir erzähle, wie Agnes und ich uns kennengelernt und was wir seitdem über die Geschichte meiner Familie herausgefunden haben? Dann kannst du vielleicht leichter entscheiden, ob du uns etwas zu sagen hast oder nicht.«
    Sie drehte mir langsam den Kopf zu. Ich hatte wohl damit gerechnet, dass sie nicken würde oder auch nicht, doch sie sah mich nur mit einem toten Blick an.
    »Mutter?«
    Agnes klang jetzt hysterisch. Ich fiel ihr ins Wort und begann zu erzählen. Ich erzählte Lillemor

Weitere Kostenlose Bücher