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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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wie Sie vielleicht hören) vor der alten Remington an Mutters Schreibtisch säße. Was glaubst du, wer du bist? Eine Autorin vielleicht?
    Es ist genau einen Monat her, dass Agnes und ich Lillemor besucht haben, um zu erfahren, wie all ihre Agathe-Couture-Kleider auf den Speicher von Liljenholm gekommen sind. Die Schubläden sind allmählich bis zum Rand mit Agnes’ Manuskriptseiten gefüllt und auch mit einigen wenigen von mir, die Agnes endlich eingefügt hat, wie ich sehe. Sogar in nicht überarbeiteter Form. Allmählich betteln die Stapel darum, gesammelt und zum Druck geschickt zu werden. Der Verlegerin in mir juckt es im wortwörtlichen Sinn in den Fingern, doch Agnes liegt mit einer Unzahl von Decken oben im Selbstmordzimmer und weigert sich aufzustehen. Wenn Sie meinen, dass das nach einer Wiederholung klingt, kann ich nur sagen, dass auch mir dieser Gedanke gekommen ist. Das habe ich Agnes auch gesagt. Doch entweder hört sie nicht zu, oder sie bittet mich alles zu vergessen, was Sie gerade gelesen haben. Doch damit ist wohl niemandem gedient.
    »Du bist mit Sicherheit nicht die Einzige, die schockiert ist«, habe ich zu ihrem abweisenden Rücken gesagt. »Hör zu, Agnes. Du musst einfach wieder auf die Beine kommen, das ist wichtig. Unser Buch soll doch fertig werden. Es ist dein Lebenstraum, Autorin zu werden, hast du das vergessen?«
    »Zum Teufel mit meinem Lebenstraum. Es wird kein Buch geben. Basta.«
    Natürlich wird es ein Buch geben! Du hast das ganze letzte Jahr so hart daran gearbeitet. Und jetzt habe ich die Konsequenzen gezogen, denn ich habe beschlossen, unser Buch, so gut ich kann, fertig zu schreiben, und das wird zweifellos nicht halb so gut sein, wie wenn du das tun würdest, liebe Agnes. Doch im Moment ist es mir sehr viel wichtiger, dass der Rest der Geschichte so ehrlich und redlich wie möglich erzählt wird. Alles, was bei Lillemor passiert ist und was keine von uns hätte voraussehen können. Unmöglich. Andernfalls hätte ich an diesem Morgen nicht so gedrängt loszukommen.
    »Agnes! Komm endlich!!«
    Ich kann mich deutlich hören, und in diesem Moment hasste Agnes sicherlich alles an mir. Mein langes Kleid von Agathe Couture, die Korkenzieherlocken und das Make-up, das Mary Pickfords nicht halb so ähnelte, wie Agnes gefaselt hat. Sie kniff die Augen zusammen, ihre Locken standen vom Kopf ab.
    »Ich komme nicht mit.«
    »Du kommst mit. Vergiss nicht, wie schief es gelaufen ist, als Antonia alleine nach Kopenhagen gefahren ist. Ich glaube schon, dass Lily es bereut hat, dass sie nicht mitgekommen ist.«
    Das war kein angemessener Vergleich, aber er wirkte. Agnes erhob sich widerwillig von ihrem Schreibtisch, zähmte ihr Haar mit Brillantine und zog einen von Simons zahlreichen dunklen Anzügen an. Ich würde gerne schreiben, dass sie wie Marlene Dietrich in Marokko aussah, denn ich weiß, dass sie das freuen würde. Doch sie erinnerte mich vor allem an eine Gewitterwolke, die sich langsam Kopenhagen näherte. Ich versuchte sie abzulenken.
    »Horaces und Claras Tod ist schon merkwürdig«, sagte ich zu ihrem lockigen Nacken.
    »Ist er das?«
    Sie hatte die letzte halbe Stunde reglos aus dem Zugfenster gestarrt und starrte weiter hinaus.
    »Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«
    So ist sie. Wenn sie nicht die Überhand hat, weigert sie sich, überhaupt zu reagieren. Ich seufzte tief, um sie zu reizen.
    »Es dürfte inzwischen doch offensichtlich sein, dass nicht die Gespenster Horace und Clara umgebracht haben«, sagte ich. »Oder glaubst du das vielleicht immer noch?«
    »Nein. Ich nehme an, dass Horace und Clara das selbst ausgezeichnet hinbekommen haben.«
    »Und du findest, das passt zu ihnen?«
    Sie antwortete nicht, und ich muss zugeben, dass sie mich langsam ermüdete, so, wie sie die Beleidigte spielte. Sie kann wegen einer Bagatelle tagelang enttäuscht und sauer sein (oh nein, ich sage nicht, dass es eine Bagatelle war, den Besuch bei Lillemor zu arrangieren, ohne dass du etwas davon gewusst hast, Agnes). Je mehr Kilometer wir zurücklegten, desto ärgerlicher wurde ich, und gleichzeitig wunderte ich mich, sowohl über Agnes’ Hände, die immer mehr Knoten in denselben losen Faden am Revers ihres Anzugsakkos knoteten, als auch über ihre Füße, die sich unaufhörlich bewegten. Sie war sichtlich nervös. Ich selbst war eher gespannt darauf, die legendäre Lillemor kennenzulernen. Wer wäre das nicht gewesen? Ich begann Agnes’ Unwohlsein jedoch etwas zu verstehen, als wir

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