Das Turmzimmer
schließlich vor dem Schild Waschen und Mangeln vom Feinsten standen und die klaustrophobische Treppe in die erste Etage hinaufstiegen.
Die Atmosphäre war seltsam. Als wäre das ganze Treppenhaus einige Male zu oft gewaschen und gemangelt worden. Lillemor musste uns kommen gehört haben, obwohl wir fast eine Stunde Verspätung hatten. Sie stand in der Tür und wartete. Meine Beine reagierten auf ihren Anblick vor meinem restlichen Ich. Sie blieben mitten auf der Treppe stehen, während Agnes die letzten Stufen nach oben stieg. Glücklicherweise hatte Lillemor nur Augen für sie.
»Oh, ich hatte schon Angst, dass ihr es bis zur Ausgangssperre nicht schaffen würdet, Agnes! Was haben wir uns lange nicht gesehen!«
Sie versuchte, unbeschwert und munter zu klingen. Trippelte hin und her und stellte sich in den hochhackigen Schuhen auf die Zehenspitzen, sodass sie Agnes einen Kuss auf die Wange geben konnte. Doch Agnes wich zurück. Das war so typisch für sie, dass es mich unter allen anderen Umständen amüsiert hätte, nur nicht unter diesen. Denn Lillemor sah völlig anders aus, als ich sie mir vorgestellt hatte, nicht zuletzt war sie einige Zentimeter kleiner als erwartet, kaum größer als ein Meter fünfzig. Ihr schwarzer Pagenschnitt und ihr roter Mund passten besser zu ihrem hellen Kostüm als zu ihrem verwelkten Teint. Sie wirkten unecht, die Farben, und ihre Freude klang nicht anders.
»Mein geliebtes Mädchen!«
Sie griff nach Agnes’ Händen, umklammerte sie. »Was bin ich froh, dass du zu Hause bist, und was siehst du gut aus. Was für einen … schönen Anzug du anhast!«
»Der hat dem verstorbenen Vater meiner Freundin gehört!«
Agnes nickte mir zu, und Lillemors Blick wanderte die Treppe hinunter. Ihre Augen wurden ganz groß. Wir starrten einander an. Dann formte Lillemors Mund einen völlig unerwarteten Namen.
»Agathe?«
Ihre Augen blickten einen kurzen Augenblick wie ins Leere, und im nächsten waren sie nass von Tränen.
»Agathe, bist du das wirklich?«
Meine Füße bewegten sich ganz von alleine die Treppe hinauf. Ich konnte sie nicht aufhalten.
»Laurits? Was machst du hier?«
Und ein Teil von mir kannte bereits die Antwort. Lillemor konnte unmöglich Laurits sein, denn Laurits war nachweislich tot, ich hatte ihre Leiche selbst vor vielen, vielen Jahren gesehen, ja, ich hatte sogar neben ihr gelegen. Außerdem war Laurits mindestens hundert Kilo schwerer gewesen als diese Frau. Doch Gesicht und Bewegungen waren die gleichen. Als wäre Lillemor die Frau, die Laurits in ihrem Innern gewesen war. Doch das denke ich jetzt, nicht damals. Da dachte ich nur, dass nichts aufging. Vielleicht dachte Lillemor das auch. Sie wandte sich ab, eine gepflegte Hand vor dem Mund, und einen Augenblick hatte ich Angst, sie würde uns die Tür vor der Nase zuschlagen. Agnes trat einen Schritt vor.
»Das ist Nella von Liljenholm, Mutter.« Sie sagte es so laut, dass es im Treppenhaus hallte. Lillemor drehte sich ruckartig um.
»Von Liljenholm?«
Ihre Stimme klang misstrauisch.
»Ja, dort wohne ich, Mutter. Auf Gut Liljenholm. Ich … es tut mir leid, dass ich dir das nicht geschrieben habe. Du weißt, wie schnell die Zeit vergeht …«
Du wohnst seit anderthalb Jahren dort, und deine Mutter kennt nicht einmal deine Adresse!, hätte ich fast gerufen, doch stattdessen blieb ich nur stumm stehen. Lillemors Gesicht fiel nahezu in sich zusammen, und ich verwünschte mein albernes weißes Kleid. Agathe Couture! Wie hatte ich jemals glauben können, dass es eine gute Idee war, in diesem Aufzug hier aufzukreuzen?
»Ich ziehe mir gerne etwas anderes an, Frau Kruse«, sagte ich, was auch der Wahrheit entsprach. Ich hatte ohnehin nicht vor, den Rest des Besuchs Mary Pickford zu spielen. Doch Lillemor schüttelte nur den Kopf. Ihr Mund hatte sich verzogen, und ihre Augen hörten nicht auf zu blinzeln.
»Nein, kommt doch herein, ihr beiden«, sagte sie mit einer Stimme, die mehr tot als lebendig klang. Ich folgte Agnes, die in der Hose mit den Bügelfalten seltsam steif ging. Der Geruch nach Hähnchen schlug uns entgegen. Lillemor versuchte sich zu beruhigen, wie ich sah. Selbst von hinten sah sie Laurits so ähnlich, dass ich die Augen von ihr abwenden musste. Meine liebe Laurits. Was machte sie nur hier in Lillemors viel zu kleinem Körper zwischen Lillemors viel zu schönen Sachen?
»Setzt euch doch, dann hole ich uns eine Erfrischung«, sagte sie. Auf dem schön gedeckten Esstisch begrüßte uns eine Vase
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