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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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schließlich um seinen Verlag kümmern.«
    »Er war überhaupt nicht hier?«
    Nella hatte ebenso schockiert geklungen, wie sie es gewesen war. Antonia hatte eine Zigarette aus dem Etui auf dem Schreibtisch gezogen. Einem Geschenk von Simon. Ihrer beider Namen waren auf der Vorderseite eingraviert.
    »Doch, doch, er war hier. Natürlich war er hier. Wo war ich? Ja, jetzt weiß ich es …«
    Sie hatte die Zigarette an der Flamme der nächstbesten Kerze angezündet.
    »Mit den Jahren wurde Lilys Verhalten ausgesprochen bedrohlich. Sie behauptete plötzlich, dass die Gespenster ihr befohlen hätten, uns umzubringen. Dich und mich sowie Simon und möglicherweise auch Lauritsen. Die Gespenster verlangen, dass ihr eure rechtmäßige Strafe bekommt , hat sie zu mir gesagt. Alles, was es wert ist zu haben, hast du bekommen, Antonia, und das war nie so gedacht. Ich hätte du sein sollen !«
    »Dann glaubst du …«
    Antonia hatte immer gierig ausgesehen, wenn sie rauchte.
    »Was glaube ich?«, hatte sie gefragt, als wüsste sie es nicht.
    »Dann glaubst du, dass Lily Vater umgebracht hat, bevor sie selbst in den Tod gesprungen ist?«
    Antonia hatte aus einem Mundwinkel Rauch ins Zimmer geblasen.
    »Ich hoffe es nicht«, hatte sie mit seltsam tonloser Stimme gesagt, »doch Gott weiß, wie oft ich darüber nachgedacht habe.«
    Nella hatte das Funkeln in Antonias Augen wiedererkannt. Dieses gefährliche Funkeln, das gewöhnlich in einer Explosion endete.
    »Allmählich habe ich mich wie eine Gefangene in meinem eigenen Haus gefühlt, verstehst du?«
    Sie hatte erneut inhaliert. Hatte eine wirbelnde Rauchwolke dem Frühjahr dort draußen entgegengeblasen.
    »Ich konnte das Zimmer hier kaum verlassen, ohne dass Lily mich mit ihren wahnsinnigen Anklagen überfallen hat, und wenn du die Wahrheit hören willst, wenn du wissen willst, wie es wirklich war, dann habe ich mir tatsächlich gewünscht, dass sie einfach verschwinden würde.«
    Antonia hatte kräftig mit den Fingern geschnipst und geblinzelt, sodass ihre Wimpern abwechselnd ihre Wangen und die dünnen, schwarzen Striche, ihre Augenbrauen berührten. Sie hatte weitergeredet, leiser jetzt:
    »Es mag gut sein, dass das hart klingt, Nella, aber Lily hat mich tatsächlich soweit getrieben, dass ich sie mit größtem Vergnügen aus dem Fenster gestoßen hätte, wenn sie nicht selbst gesprungen wäre.«
    Nella konnte sich noch immer erinnern, wie ihr Herz an dieser Stelle für einen kurzen Schlag ausgesetzt hatte.
    »Aber das hast du nicht, oder?«
    »Was habe ich nicht?«
    Antonias Wimpern hatten etwas stärker gezittert als sonst, doch das konnte auch am Wind liegen.
    »Du hast sie nicht aus dem Fenster gestoßen, oder?«
    Antonia hatte eine ausladende Handbewegung gemacht, wie sie das immer tat, wenn sie wollte, dass Nella verschwand.
    »Ich habe doch gerade gesagt, dass sie selbst gesprungen ist«, hatte sie geantwortet, und Nella hatte getan, worum sie gebeten worden war, und die Tür anständig hinter sich geschlossen.
    Damals tat Nella immer, worum Antonia sie bat, doch die Zeiten hatten sich zweifellos geändert. Während Antonia in dem schmalen Bett schlief, lasen Nellas Augen wie von selbst weiter. Alles deutete darauf hin, dass diese Antonia Lily bis zum Jahr 1904 einen Fortsetzungsroman pro Jahr geschrieben hatte. Das letzte Geheimnis, Die Spiegelverkehrten, Die lebenden Toten. Nella musste bereits einige Zeit gelesen haben, denn ihre Augen waren trocken wie Papier, doch sie war zu gefesselt, um dem Bedeutung zu schenken. Die jungen Fräulein und bösen Väter, die alten Ehemänner und jungen Geliebten, die Geisterhäuser und die Sticknadeln verschwammen vor ihren Augen. Plötzlich stutzte sie.
    Es war der Titel. 1904 hieß der Fortsetzungsroman Lady Nellas geschlossene Augen, und in der rechten Ecke neben dem Titel war die Fotografie einer Frau mit wallenden Locken abgebildet, die ihr wohlgeformtes Lächeln halb verbargen. Zwischen ihren Vorderzähnen ahnte man einen kecken Zwischenraum. Wir können so viel verraten, dass Antonia Lily eine junge, schöne Adlige von erst neunzehn Jahren ist , stand unter dem Bild der Frau. Sie bittet uns, Sie zu grüßen und für die überwältigende Aufmerksamkeit zu danken, und anstelle eines Punktes sah man eine geschwungene Unterschrift, die in einem Tintenklecks endete. Es war Antonia Lilys Name. Es gab noch weitere Fotos von ihr. Auf einigen waren ihre Locken nach hinten gekämmt oder gescheitelt, auf anderen wurde ihr Busen von

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