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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Ich befürchte ernsthaft, dass das der Hintergrund für diesen Selbstmord ist. So gern ich das würde, kann ich das unmöglich jetzt schon vertiefen, lieber Leser. Der Grund ist bestimmt nicht der, Ihnen diese Information vorenthalten zu wollen, doch Fräulein Lauritsens Verdacht ist einfach zu furchtbar, als dass er über meine Lippen kommt. Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich mich ausreichend gesammelt habe.

Als alles im Kamin verbrannte
    Nella sagt, dass ich hier sitze und tief vor mich hin seufze. Aber glauben Sie mir, lieber Leser, das würden Sie auch, wenn sie Nellas Detektivgeschichte aufschreiben sollten. Denn so hervorragend Nella als Detektivin auch war, so sehr versagte sie, als es darauf ankam. Doch jetzt greife ich den Begebenheiten vor, lassen Sie mich also zu dem Moment zurückkehren, als Nella langsam Lady Nellas geschlossene Augen aufschlug.
    Meinem Simon, der Liebe meines Lebens stand auf der ersten Seite. Das Papier knisterte, als Nella die Seiten umblätterte. Sie hatte große Angst, Antonia, die im Bett neben ihr lag, zu wecken. Sie musste ein weiteres Mal genau hinsehen, doch es bestand kein Zweifel. Von der nächsten Seite starrte sie die junge Antonia an, ihre langen Wimpern wirkten gewaltig, und Licht und Schatten teilten ihr Gesicht in zwei Hälften. Die sichtbare Hälfte war unter der kräftigen Schminke noch immer rund in den Zügen, und das Haar gewellt wie bei den Models aus den Illustrierten, nur wesentlich kürzer. Eine schicke Frisur. Es machte Sinn, dass Antonia eine Mode damit kreiert hatte, als Lady Nellas geschlossene Augen herauskam.
    Nella hatte bisher nie darüber nachgedacht, doch sie glich in frappierendem Maße der Antonia auf dem Bild. Besonders was Augen und Gesichtsausdruck anging. Wenn sie Lily noch ähnlicher sah, wie Antonia immer wieder behauptet hatte, musste sie ihr reinstes Ebenbild sein. Dafür hatte die Antonia im Bett kaum Ähnlichkeit mit ihrem damaligen Selbst, doch das lag wohl an den ganzen Jahren vor der Schreibmaschine. Nella durchsuchte den Stapel schnell nach weiteren Bildern. Von Lily oder wem auch immer. Doch sie fand nur Lilys Todesanzeige, gedruckt auf schmuddeliges Zeitungspapier. Unsere geliebte Lily von Liljenholm (1884–1914) hat diese Welt verlassen. In tiefer Trauer, die Familie war alles, was dort stand. Unter den Text war eine Rose gezeichnet, was unmöglich ernst gemeint sein konnte in Anbetracht von Lilys Selbstmordmethode. Nella fand Todesanzeigen in verschiedenen Variationen. Es war ernst gemeint. Auf alle Todesanzeigen waren Rosen gezeichnet, und auf einer schlängelte sich sogar eine ganze Rosenranke um den Text wie ein morbider Rahmen.
    Der Wind musste zugenommen haben. Er peitschte gegen die Nordseite von Liljenholm. Nellas Augen flackerten zwischen Buch, Fortsetzungsroman und Manuskript hin und her. Soweit sie das sehen konnte, war es, von einer einzigen Korrektur abgesehen, der gleiche Text. Sie blätterte zu einem anderen Kapitel weiter, kam zum Schluss. Auch hier kein Unterschied. In allen Versionen brannte Lady Nella mit ihrem jungen Geliebten durch und ließ sich mit ihm auf einem baufälligen Gut nieder. Das Ende war auffallend kitschig: »Sie lagen unter dem großen Kirschbaum im Park, und Nella wurde nicht müde, ihn anzusehen. Seine vollen Lippen und langen Wimpern, die Schatten auf die Wangen warfen, wenn er blinzelte. ›Wir haben uns, und das ist das Wichtigste‹, flüsterte er. ›Das wird immer das Wichtigste sein, Nella. Für uns beide lebe ich.‹ Ihre Hände suchten wie von selbst nach seinen Haaren. Dessen träge Wellen hatten sie von Anfang an fasziniert. ›Und ich lebe für uns beide, mein Geliebter‹, antwortete sie in dem Moment, als die ersten Vögel zu singen begannen. So saßen sie da, atemlos, unbeweglich für einen Augenblick, der so lang wie das Leben war.«
    Nella erinnerte sich schwach, den Wortwechsel vor langer Zeit einmal gelesen zu haben, doch vor allem erinnerte sie sich an Antonias Worte:
    »Ich habe den Schluss als Liebeserklärung an deinen Vater geschrieben«, hatte sie gesagt. »Das war eine magische Zeit, als wir verlobt und frisch verheiratet waren, Nella. Sie dient mir seither als Inspiration für all meine Romane, doch das habe ich dir bestimmt schon einmal erzählt?«
    Antonia hatte dabei gelächelt. Der Gedanke an Simon war noch immer das Einzige, das sie dazu bringen konnte. Nella wollte einfach nur, dass sie sagte, dass ihre Geburt genauso magisch gewesen war. Nur ein ganz

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