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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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entschuldige …«
    Sie wischte sich die Wangen mit ihrem Handrücken ab, sodass er schwarz von Wimperntusche wurde. »… Mir war plötzlich klar, was Antonias letzte Worte zu bedeuten hatten. Gar nicht erst zu reden von Antonias und Lilys übermäßig engem Verhältnis, das sie, auch als Erwachsene, noch im selben Bett schliefen ließ, wie du selbst bemerkt hast. Und dass Lily hätte Antonia sein sollen , wie Mutter zitiert hat. Das war fast schon komisch, nicht? Sogar die seltsame Notiz von Simon ergibt plötzlich mehr Sinn. Ich meine …«
    Sie machte eine ausladende Armbewegung.
    »Vermutlich hat Simon die süße, fügsame Lily geheiratet, die sich plötzlich in die wütende Antonia verwandelt hat, nicht? Er muss sie verlassen haben, weil er es nicht ausgehalten hat, nehme ich an, und ganz offenbar hat sie ihn seitdem dafür gehasst. So sehr, dass sie beschlossen hat, ihre Tochter glauben zu lassen, er wäre auf tragische Weise ums Leben gekommen.«
    Sie schlang die Arme um ihren Körper. Eine einzige Frage musste ich noch stellen.
    »Aber hast du dich nicht einmal gefragt, ob er vielleicht irgendwo anders lebt?«, fragte ich. Sie schüttelte den Kopf.
    »Simon? Nun ja, er war mir zu dem Zeitpunkt allmählich egal. Er ist schließlich nie Teil meines Lebens gewesen, höchstens als nagende Ungewissheit. Wenn ich mich etwas gefragt habe, dann eher, ob er überhaupt existiert hat, glaube ich. Wenn die Zwillinge eine Illusion waren, konnte doch auch Simon eine Illusion sein, nicht? Eine einzige Notiz, die vielen Widmungen und Mutters ganzes Gerede reichten als stichhaltige Beweise wohl nicht aus. Mein richtiger Vater hätte genauso gut … ja, was weiß ich … der Nachbar drüben von Frydenlund oder wer auch immer sein können. Du siehst blass aus?«
    »Tue ich das?«
    Ich musste mich einen Augenblick hinsetzen.
    »Und was hast du von Lilys Todesanzeige gehalten?«, fragte ich, als ich wieder klar denken konnte. Nella seufzte.
    »War das nicht offensichtlich?«
    Ich musste die Lippen fest zusammenpressen.
    »Ich wusste mit Sicherheit, dass Mutter eine andere geworden war, als ich sechs Jahre alt war«, sagte sie. »So gesehen machte die Schlussfolgerung Sinn, dass sie, bis ich sechs wurde, Lily gewesen war und später zu Antonia wurde. Ich dachte, ja, ich bildete mir so gesehen ein zu verstehen, dass es für sie notwendig gewesen sein musste, Lily zu begraben, um Antonia zu werden. Sie für tot zu erklären, eine Todesanzeige drucken zu lassen, endgültig Abschied zu nehmen. Ich hatte sogar selbst Lust, Nella von Liljenholm bei der erstbesten Gelegenheit für tot zu erklären und mich nur noch Nella Holm zu nennen. Wie ich mich schließlich auch genannt habe, als ich in Kopenhagen von vorne angefangen habe, doch nie so aus ganzem Herzen, dass ich sie auch geworden bin. Und ich habe an mich als kleines Mädchen denken müssen. Was für ein Schock es für mich gewesen sein muss, dass die Mutter, die ich kannte, durch eine ersetzt wurde, die ich weder kannte noch mochte, aber weiterhin Mutter nennen sollte. Nicht so verwunderlich, dass meine Erinnerung an die ersten sechs Jahre verschwunden ist, nicht?«
    Die Vögel draußen vor dem Fenster mussten weggeflogen sein. Der Baum sah plötzlich alt und krank aus.
    »Und was hältst du von dem tatsächlich vorhandenen Grab?«, fragte ich. Nella trocknete ihren Handrücken an einem Taschentuch ab, sodass es ganz schmutzig wurde.
    »Viele enden schließlich in falschen Gräbern. Das weißt du doch auch«, antwortete sie und lachte leicht. Ich verstand nicht, worüber.
    »Der Teil von mir, der an Mutters Bettkante saß, erzählte ihr alles, was plötzlich zusammenzupassen schien, und wir … ich würde fast sagen, wir diskutierten darüber«, fuhr sie fort. »›Du hättest mir den roten Faden etwas früher zeigen können‹, sagte ich zu ihr. ›Ich habe wie eine Verrückte danach gesucht. Du solltest wissen, wie viele Jahre ich dafür gebraucht habe!‹ Doch sie schüttelte den Kopf. ›Du hättest trotzdem nicht verstanden, wie das Ganze zusammenhängt, bevor du es nicht selbst erfahren hast‹, sagte sie, und ich protestierte. Du kennst ja Mutter. Sie konnte wirklich schnauben, wenn ihr danach war. ›Habe ich dir nicht gesagt, dass ich immer versucht habe, dich zu schützen? Habe ich das nicht?‹ ›Aber ich habe dich nicht gebeten, mich zu schützen!‹ Sie schnaubte erneut. ›Das würde jede ordentliche Mutter tun. Je länger du in Unwissenheit über deinen Untergang

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