Das Turmzimmer
von Lillemors Geld lebte und versuchte, den Roman zu schreiben, den ich offensichtlich nicht in mir trug, schließlich eine Ausbildung zur Sekretärin. Mein Leben war genauso zusammenhangslos wie meine Manuskripte, und schließlich gab ich das Schreiben auf. Vielleicht hoffte ich, ein ganz klein wenig nur, dass die Arbeit als Sekretärin mich zu einem dieser schicken Ziergegenstände machen würde, die man immer öfter in den Büros sah. Oder dass Lillemor mich wieder Agathe nennen und mit einer Mary-Pickford-Garderobe ausstatten würde. Doch nichts dergleichen geschah. Ich konnte feilen und spachteln und von Luft und Wasserbrei leben. Doch ich glich weder einer schicken, kleinen Sekretärin noch verhielt ich mich wie eine. Deshalb war ich auch nie diejenige, die die langen Reinschriften machte, und so musste die Not mich lehren, was sie konnte. Ich war zu stolz, um Lillemor erneut um Geld zu bitten, obwohl sie es mir oft genug anbot und mich immer wieder anflehte, es anzunehmen. Es mochte zwar sein, dass ich Gesindel war, aber ich war kein untalentiertes Gesindel, und schon bald endeten mein Freund Ambrosius und ich in der Wohltätigkeitsbranche. Mit etwas gutem Willen konnte man es jedenfalls so nennen.
Das ist kein Kapitel, auf das ich stolz bin. Deshalb will ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nur erwähnen, dass uns an diesem Augustnachmittag im Jahr 1936, wo etwas seinen Anfang nahm, das einem Glückstreffer glich, der mein Leben verändern sollte, der Boden leicht unter den Füßen brannte. Es begann damit, dass ich in der Kirche in meinem Stadtteil vorbeigeschaut hatte, was ich zu dieser Zeit häufiger tat. Doch an diesem Tag sprang ich anschließend in die Straßenbahn, die mich zu dem Hinterhaus in Nyhavn bringen sollte. Meine Gedanken kreisten um Lillemor, die mich für sechs Uhr zum Abendessen eingeladen hatte. Sie machte sich Sorgen um mich, und ich wollte nicht, dass sie erfuhr, dass diese berechtigt waren, obwohl ich wusste, dass sie es erraten würde. Sie sah immer, wenn ich mir allzu große Mühe gab, in der Menge unterzutauchen, was an diesem Nachmittag trotz der Hauptverkehrszeit nicht leicht war. Ich hatte mich nämlich auf einem der guten Sitzplätze am Fenster niedergelassen und war schon bald allzu sichtbar für die Heerscharen älterer Kopenhagener, für die ich eigentlich hätte aufstehen sollen. Zuerst versuchte ich sie zu ignorieren, doch sie hüstelten auffordernd und beugten sich über mich. Deshalb hob ich schließlich eine liegen gebliebene Zeitung vom Boden auf und breitete sie um mich herum aus. Und jetzt komme ich auch zu dem Glücksfall: Eine Annonce sprang mir direkt in die Augen. Kompetente Sekretärin zur Reinschrift von Memoiren gesucht. Vier Stunden täglich. Gehalt nach Absprache stand da, gefolgt von Vodroffsvej und einer Telefonnummer. Ich las die Annonce mindestens hundertmal, während die Straßenbahn sich der Innenstadt von Kopenhagen näherte.
Wenn ich im Moment eines brauchte, war es eine feste, respektable Arbeit. Und wenn ich gleichzeitig noch so tun konnte, als ginge ich dieser bereits seit einigen Monaten nach, würde ich nachts beträchtlich ruhiger schlafen können. Überhaupt nachts zu schlafen wäre ein äußerst notwendiger Luxus, stellte ich fest, als ich aus der Straßenbahn sprang und mich in einem der Schaufenster sah. Der lange, braune Mantel verdeckte natürlich das Meiste, doch nicht die dunklen Ränder unter meinen Augen und das sich kräuselnde Haar. Ungeachtet, wie häufig ich es kämmte und zurückstrich, sah es hoffnungslos aus.
Als Lillemor mir die Tür öffnete, sah ich sofort, dass sie das Gleiche dachte. Ich kannte sie zu gut. Wenn ihre vollen, roten Lippen sich zu einem Lächeln öffneten wie jetzt, würde niemand außer mir das Dunkle in ihren Augen bemerken.
»Agnes! Komm herein!«
Ihre Wangenküsse waren kühl, oder aber meine Wangen brannten, denn sie strich über die eine, die rechte, und fragte, ob ich Fieber hätte.
»Nein, nein«, wollte ich sagen, »du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe eine Idee, sieh dir einmal diese Annonce an …«
Doch sie hatte bereits ein paar Artikel, die ich unbedingt lesen musste , tief in meine Manteltasche gesteckt und sich zum Wohnzimmer hin umgewandt, aus dem mit den Jahren die Stoffballen und Schneiderbüsten verschwunden waren und das stattdessen mit wenigen, aber komfortablen Möbeln eingerichtet war. Lillemor hatte Agathe Couture 1933 verkauft, nachdem sie Mary Pickford in Secrets
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