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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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abenteuerlichen goldenen Halbkugel.
    »Das ist kein Gold. Das ist Messing, kleine Agathe«, lächelte Lillemor. Das Beste, wenn sie lächelte, war, dass sie nur für mich lächelte. Das Zweitbeste war, dass auch Agathes Zimmer mein Zimmer wurde. Abgesehen von dem Eisenbett gab es eine lange Reihe Bilderbücher und Porzellanpuppen in einem Regal, Papier und Buntstifte, Bauklötze und einen Spiegel, der ganz bis zum Boden reichte. Platz war nicht viel, doch das Zimmer hatte zwei Türen, die sich schließen ließen. Unter meinen Füßen befand sich das Erdgeschoss, wo ich Lillemor den größten Teil der Nacht leise singen und mit Fräulein Iben reden hörte. Sie waren Wäscherinnen, und als Erstes lernte ich, mich durch das blauweiße Schild vor ihrer Tür zu buchstabieren. Waschen und Mangeln vom Feinsten , stand da, und es klang ebenso fein wie es war.
    Die Dienstmädchen von ganz Kopenhagen kamen über das Kopfsteinpflaster getrippelt, um für ihre Herrschaft Manschetten und Kragen und Hemdbrüste, Zierkragen und Spitzen zum Waschen zu bringen, und oft machten sowohl sie als auch zufällig auf der Straße vorbeikommende Damen meiner Mutter Komplimente für ihre Kleider. »Was sehen Sie heute gut aus, Wäscherin Kruse«, sagten die Dienstmädchen mit großen Augen, und die feinen Damen musterten meine Mutter von oben bis unten, und dann konnten sie nicht an sich halten. »Entschuldigen Sie, ich will nicht aufdringlich sein«, sagten sie, »aber ich habe Sie jetzt eine ganze Zeit lang angesehen, und Ihr Kleid passt einfach wundervoll zu Ihren Augen. Darf man fragen, wo Sie es gekauft haben?«
    Als Lillemor dieses Gespräch so oft geführt hatte, dass sie sicher war, dass an den Worten etwas dran sein musste, erweiterte sie still und leise das Geschäft. Die Kleider nähte sie nämlich selbst an den Vormittagen, an denen ihre Freundin, Frau Jensen, die Wäsche entgegennahm und im Geschäft für Ordnung sorgte. Und schon bald nähte Lillemor ebenso viel, wie sie wusch. Es dauerte nicht lange, bis ich in den umliegenden Straßen ihre Kleider sah. Natürlich sah man die Schilder im Nacken nicht, es sei denn, man kam den Trägerinnen so nahe wie ihre Ehemänner zu Hause. Doch ich wusste, dass mit goldenem Faden Agathe Couture darinnen stand, denn diese Etiketten lagen gewöhnlich über unseren Esstisch verstreut. Unser Wohnzimmer war schon bald voll mit Stoffrollen und halbfertigen Kleidern auf Schneiderbüsten, mit Maßbändern, Nähgarn und einer Menge von Schnittmustern und Autogrammkarten, die mit Nadeln an die Wände gepinnt waren. Die meisten zeigten Mary Pickford in hauchdünnen, romantischen Kleidern und mit Korkenzieherlocken. Ich kann mich noch heute an die Bilder erinnern. Lillemor schlug oft vor, dass ich zusammen mit ihr und Fräulein Iben in die Vier-Uhr-Vorstellung im Kosmorama in der Østergade ging, um mir die Stummfilme anzusehen, doch in der Regel lehnte ich ab. Ich weiß selbst nicht einmal, warum.
    Aus all den Jahren in Nyhavn ist mir am deutlichsten der mechanische Laut von Lillemors Nähmaschine in Erinnerung geblieben. Er und die Gerüche in der Wäscherei, die in der Nase kitzelten, sobald man die Tür öffnete. Vor allem nach Soda und Seife, worin die Textilien eingeweicht wurden, von denen die schmutzigsten die Nacht über im Bleichmittel liegen blieben. Anschließend wurden die Textilien gestärkt und gemangelt, bis sie so glatt wie neu waren. Die hohen Kragen hießen Vatermörder, und die doppelten Manschetten waren nur für die Sonntagskleider. Doch ungeachtet, wie viel ich wusste, durfte ich nie helfen.
    »Du bist einfach zu ungeschickt, Agnes. Ich weiß nicht, was mit dir los ist!«, seufzte Lillemor. Es vergingen viele Jahre, bis ich zu verbergen lernte, wie traurig mich ihre Worte machten. Sie nannte mich nur Agnes, wenn ich sie zutiefst enttäuscht hatte wie damals, als ich zehn Jahre alt war und sie mich mit einem mit Perlen bestickten Festtagskleid überraschte, das vermutlich einem der Kleider von Mary Pickford glich. Wir wollten zur Silberhochzeit ihrer Schwester auf Südseeland, und Lillemor musste Wochen dafür gebraucht haben, das Kleid zu nähen und zu besticken. Der Schnitt hätte zweifellos Agathes dünne Gestalt betont, doch nicht meine. Ich bekam das Kleid kaum über die Hüften, und ich wage nicht daran zu denken, wie ich darin aussah. Bis heute war dieser Tag das einzige Mal, dass ich Lillemors Familie getroffen habe.
    »Wie sollen wir nur eine Dame aus dir machen?«, seufzte

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