Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
mir weder Frage stellen noch etwas sagen oder bemerken, sondern nur am Streuselkuchen knabbern. Ich greife zur Allzwecklösung. Unter Frauen kann man doch immer von den Kindern sprechen, denke ich. Also frage ich sie, obdenn ihre Kinder noch deutsch sprechen oder verstehen und sich überhaupt für die deutsche Herkunft interessieren. Pause. Streuselkuchenknabbern, Schweigen, das zu lange dauert. Die Frau aus Zwickau neben mir sagt, ich habe keine Kinder. Die Frau aus Hannover sagt, ich habe auch keine Kinder. Die dritte, aus Landau, sagt, ich habe auch keine Kinder. Die Frau aus Würzburg, mir gegenüber, sagt, sie habe einen Sohn, deutsch spreche er aber nicht und Deutschland interessiere ihn nicht. Pause. Knabbern. Schweigen, das noch länger dauert. Ich möchte in den Erdboden versinken. Offensichtlich bin ich direkt ins Fettnäpfchen getreten. Das konnte ich doch nicht ahnen, das hätte er mir vorher sagen müssen, der Rabbi Berkowitz, daß in seiner congregation die Frauen alle keine Kinder haben. Nachher, als ich ihn zur Rede stelle, warum er mich in die Falle laufen lassen hat, erklärt er mir, sie seien eben alle als Kinder oder Jugendliche hierher gekommen, hätten meistens die Eltern im Holocaust verloren, sich ganz allein in dem fremden Land durchbeißen müssen, vielleicht habe ihr Mut dann nicht mehr zum Kinderkriegen gereicht. Das kann er aber auch nur vermuten, denn keine der Frauen hat sich ihm bisher anvertraut. Er ist auch erst seit drei Jahren Rabbi dieser congregation .
Jetzt möchten die alten Damen Brigde spielen, sie fragen mich, ob ich mitspiele. Leider kann ich nicht Bridge spielen. Achselzucken. Der Streuselkuchen ist aufgegessen,jetzt ist Brigde der nächste Programmpunkt. Ich bin hier völlig fehl am Platze, denn deutsch sprechen mögen sie ja auch nicht. Ich verabschiede mich, was soll ich machen, ich bin wütend auf den Rabbi Berkowitz. Es war eine ganz schlechte Idee von ihm, mich hierher einzuladen.
Um mich zu beruhigen, würde ich gerne ein Stück laufen, weiß aber nicht, ob man Harlem zu Fuß durchqueren kann oder ob das gefährlich ist, auch wenn es jetzt immer heißt, New York sei einer der safesten Städte der Welt. Sanda sagt, sie fühle sich hier sicherer als in Berlin. Aber vielleicht muß man sich in Harlem doch ein bißchen besser auskennen als ich. Ich möchte wenigstens noch zum Hudson hinunterlaufen, aber ich finde den Übergang nicht, wo und wie den Highway überqueren, verliere den Mut und kehre resigniert zur Subway-Station zurück. An der 4th Street steige ich aus, eine Station früher, um in der Library der New York University noch meine E-Mails anzusehen.
Um diese Zeit, am frühen Abend, sind fast alle Computer besetzt, ich muß ein bißchen suchen und kann mir meine Nachbarn nicht auswählen. Neben mir sitzen zwei Studentinnen und gackern und reden viel, laut und – deutsch. Ich muß unbedingt verhindern, daß sie sehen, daß auch ich deutsch lese und schreibe. Heute möchte ich mich auf gar keinen Fall noch einmal als Deutsche zu erkennen geben.
Weihnachten und Chanukka
Bis zur zweiten Hälfte meiner Residenzzeit habe ich noch kein einziges Museum besucht, keinen Fuß nach Midtown gesetzt und auch den Central Park noch nicht betreten. Vielleicht verbringe ich meine Residenzzeit ein bißchen zu forciert in der Beschränkung auf mein magisches Dreieck zwischen Deutschem Haus, Maison Française, koscherer Mensa, der Arbeit am klapprigen Laptop, Sanda in der MacDougal und der Lower East Side Renaissance. Aber zu Hause, in Straßburg, gehe ich ja auch nichts besichtigen, nur wenn Besuch anreist, führe ich ihn zum Münster, weise darauf hin, daß Goethe bei seinem Anblick vor Glück in Tränen ausgebrochen ist, und blicke meinem Gast dabei fest ins Auge.
Schon dieser kleine Zirkel meiner Betrachtungen von New York ist ja unerschöpflich. Ich aber bin leider nicht unerschöpflich. Nebenbei muß ich ja noch Träumen und Erinnerungen standhalten, und manchmal fürchte ich sogar, mich in meinem ledigen Leben in Manhattan ein bißchen aufzulösen. Aber das ist kein rauschhafter Zustand, trotz der Euphorie, die ihn begleitet und die hier, wie Sanda sagt, auch nie aufhören soll; es ist so ein Gefühl, zugleich aufzufliegen und unterzugehen, jedoch ohne dabei den Verstand zu verlieren. Ich spüre die Versuchung, mich jetzt entweder ganz fallen zu lassen oder viel mehrauf Distanz zu gehen. Beides ist aber nicht meine Art, ich möchte gern versuchen, das gefährdete
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