Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Gleichgewicht zu halten und ein Beobachter zu bleiben, der trotz allem etwas sieht.
An den Touristen, die sich jetzt noch mehr drängen, als sie es sowieso schon tun, merkt man, daß es hart auf Weihnachten zugeht. Ich höre viel Deutsch und viel Französisch auf dem Broadway, auch in den kleinen Straßen des Village und um den Washington Square herum. Dieses Jahr fallen Weihnachten und Chanukka zusammen, und deshalb ist überall, wo ein Weihnachstbaum ist, auch eine Chanukkea aufgestellt. Eines neben dem anderen. Auch in der Lobby meines Pei-Towers hat der Doorman beides aufgebaut, natürlich mit elektrischen Birnen, und in dieser Doppelung tauchen sie in den Lobbies aller Buildings, in den Auslagen aller Geschäfte, in Kaufhäusern, Restaurants und Kneipen und auf vielen öffentlichen Plätzen auf. Happy Christmas! Happy Hannukah! Happy Hannukah! Happy Christmas! Die Bar Thompson, Ecke 3th Street wünscht in einer sehr bunten Festdekoration neben Happy Christmas! und Happy Hanukkah! auch noch Happy Kwanzaa! Die New York Times erklärt mir, daß Kwanzaa ein Fest ist, das seit einiger Zeit von den Afro-Amerikanern zu dieser Jahreszeit gefeiert wird, und zwar ähnlich wie Chanukka sieben Tage lang; auf der Leserbriefseite,die ich auch jeden Tag studiere, wird es von einer afroamerikanischen Leserin jedoch als völliger Unsinn abqualifiziert, weil es in Afrika gar nicht bekannt sei und nur als hilfloses Konstrukt einer african-american identity erscheine, die es, jedenfalls so vereinfachend, gar nicht gebe.
Angesichts der zahllosen Chanukkeas allerdings kann man feststellen, daß die Zeit gründlich vergangen ist, da man sein Judesein verstecken mußte oder sich gerade noch als Stadtneurotiker ein Plätzchen in der Gesellschaft ergattern konnte. Heute ist es hip und cool und in , Jude zu sein und das auch stolz zu zeigen. Woody Allan und das jiddische Mamme -Problem sind überhaupt nicht mehr aktuell. Jüdische Rapper und jüdische Supermänner treten jetzt auf. Das Time Out Magazine , die New Yorker Stadtzeitung, hat dem Phänomen gerade erst eine Titelstory und das Titelbild gewidmet.
Es fing 2003 mit dem Film The Hebrew Hammer an, einer Action Comedy, in der ein jüdischer Super- oder Batman mit Sonnenbrille und langem schwarzem Ledermantel, richtig powerfull sexy , gegen den Sohn des Weihnachtsmannes kämpfen muß. Es knallt, bumst, rumst und wird mit Autos gerast, und kein schwieriger Sohn guckt über einen dicken Brillenrand. Natürlich ist es trotzdem zum Lachen. Die hippen stolzen neuen Juden nennen sich jetzt heeb , ein Anagramm des früher geläufigen antisemitischenSchimpfwortes »hebe«, so wie sich viele Schwarze ja auch mit neuem Selbstbewußtsein selbst »Nigger« nennen. Eine Zeitschrift namens Heeb gibt es auch schon seit ein paar Jahren, für die alles streng verpönt ist, was nur irgendwie nach jüdischer Folklore, jüdischer Tradition oder Holocaust-Erinnerungskultur aussehen könnte.
Mit den zahlreichen Touristen ist auch Ruben angereist, der längst kein »Quieker« mehr ist, sondern Student und Ferien hat. Er ist viel unterwegs, denn er muß seine Straßburger Freunde besuchen, die hier entweder an der Jeschiwa Chaim Berlin oder an der Yeshiva Uni versity studieren, und ihnen die Päckchen und Tüten ihrer Mütter bringen, vor allem den koscheren Käse, den er am Drug and Food Office vorbeischmuggeln mußte, weil die Einfuhr von Lebensmitteln in die USA ja streng verboten ist. In New York gibt es zwar koscheres Wasser und koscheres Salz, aber koscheren Käse, der den Namen Käse verdient, gibt es nicht.
Mit der Ankunft meines Sohnes hat mich die Beunruhigung wieder eingeholt, die wohl keiner Mutter erspart bleibt. Wieder gebe ich mein unbehindertes unbesetztes leeres lediges Leben auf, diesmal, um mich übergangslos, im gleichen Moment, in dem mein Sohn zur Tür hereinkommt, in der Mutterrolle wiederzufinden. Eine Sekunde, bevor er eintritt, ruht mein Blick noch auf der Höhe der Türklinke, um sich dann schnell mehrere Köpfe darüberzu heben, wenn er tatsächlich ins Zimmer tritt, mich um vieles überragend. Und genauso geht es mir mit seinen Freunden, den Studenten an den verschiedenen Universitäten. Schließlich kenne ich sie, seit sie bei uns auf dem Teppich herumkrabbelten, dann saßen und die jeweils aktuellen Spiele spielten, dann wieder auf dem Teppich lagen und lasen oder Musik hörten, dann hinter einer fest geschlossenen Tür wahrscheinlich wahnsinnig wichtige Probleme
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